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«Nie uf's Muul ghocket» Das «journalistische Gewissen» von Innerrhoden tritt ab

Rolf Rechsteiner war 20 Jahre lang Chefredaktor der Zeitung «Appenzeller Volksfreund». Nun geht er in Pension. Seit der Gründung 1876 ist der Appenzeller Volksfreund eigenständig. Er gehört einer Genossenschaft. Die Zeitung ist das unbestrittene Leadblatt in Appenzell Innerrhoden und auch das Amtsblatt. Rolf Rechsteiner gilt als einer der besten Kenner des Kantons.

Rolf Rechsteiner

Ehemaliger Chefredaktor Appenzeller Volksfreund

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Der gebürtige Appenzeller war von Januar 2000 bis Juni 2020 Chefredaktor der Innerrhoder Lokalzeitung «Appenzeller Volksfreund» und nicht nur deswegen ein ausgewiesener Kenner des Kantons. Nach seiner Pensionierung schreibt der 64-Jährige beim Volksfreund gelegentlich noch als Ortskorrespondent für seinen Wohnort Oberegg, wo er zuvor über 20 Jahre als Primarlehrer arbeitete.

SRF News: Seit Ende Juni sind Sie pensioniert, fehlt Ihnen das Schreiben?

Rolf Rechsteiner: Nein. Ich habe bis am letzten Tag viel geschrieben und jetzt bin ich froh, dass ich loslassen und runterfahren kann. Das braucht's. Einfach alles fallen zu lassen und zu sagen, geht mich nichts mehr an.

Der Volksfreund ist eines der wenigen Blätter, das seine Eigenständigkeit bewahren konnte, auch während der grossen Umbrüche in der Schweizer Medienlandschaft. Wie schaffte er das?

Dank seiner Struktur als Genossenschaft. Der erste Satz der Statuten lautet: «Herausgabe einer eigenen Zeitung.» Und das lässt sich nicht so schnell ändern, was sich als sehr positiv für die Zeitung gezeigt hat. Man konzentrierte sich auf das Printmedium und liess sich nicht zu einer schnellen Online-Plattform hinreissen. Das hätten wir nicht stemmen können. So mussten wir konservativ bleiben.

Volksfreund und Corona

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Der Lockdown habe den Appenzeller Volksfreund «wacker getroffen», sagt Chefredaktor Rolf Rechsteiner. Die Redaktoren mussten teilweise in Kurzarbeit und von zu Hause arbeiten. Inserate und Inhalte wie Versammlungen oder Veranstaltungen blieben aus.

Die Digitalisierung schreitet voran, kann der Volksfreund noch Jahrzehnte so weitermachen?

Ja, ich bin überzeugt, dass die Leute auch in Zukunft wissen wollen, was in ihrem Dorf, im Kanton oder in den Vereinen passiert und nicht nur das schnelle Kurzfutter online suchen. Wäre der Volksfreund in einem grossen Zeitungsverbund, würde Innerrhoden wie jede grosse Gemeinde im Mittelland behandelt und das ist man sich hier schon bewusst.

Wie ist Ihnen der Spagat zwischen unabhängiger Zeitung und amtlichem Sprechorgan des Kantons gelungen?

Das Sprechorgan ist ja die Verwaltung selbst. Sie liefert pfannenfertige Berichte, die wir nur noch im Layout anpassen, aber nichts am Inhalt ändern. Nach klaren Vorgaben muss der Kanton bestimmte Informationen als Inserate eingeben und dafür auch bezahlen. Er finanziert den Volksfreund nicht, und wir sind auch nicht Angestellte der Verwaltung.

Nach 20 Jahren als Chefredaktor haben Sie ein grosses Wissen, mussten Sie manchmal auch «uf’s Muul hocke»?

Ich glaube, ich habe nie geschwiegen, wenn ich das Gefühl hatte, das muss ich jetzt publizieren. Da war ich schonungslos und ging manchmal bis an die Schmerzgrenze.

Ich war schonungslos und ging manchmal bis an die Schmerzgrenze

Wenn man für solche Berichte von jenen gelobt worden wäre, welche die Ansicht teilten, hätte man es oft einfacher gehabt.

Fehlte Ihnen die Wertschätzung?

Ja, ein Stück weit schon. Manchmal erfuhr ich über den Latrinenweg, dass ein Artikel kritisiert wurde. Dann hätte ich gerne gewusst, wer was gesagt hat, damit ich das Gespräch hätte suchen können.

Wenn Sie über die zwanzig Jahre Bilanz ziehen müssten, konnten Sie auch alte Zöpfe abschneiden?

Es gab über die Jahre auf allen Ebenen Veränderungen. Der Grosse Rat ist kritischer geworden, er lässt sich nicht mehr alles bieten.

Die Zeiten, als der Landammann auf den Tisch schlug und alle schwiegen, die sind vorbei.

Die Zeiten, als der Landammann auf den Tisch schlug und alle schwiegen, die sind vorbei.

Sie bleiben dem Volksfreund als Ortskorrespondent für Oberegg erhalten. Wie lange machen Sie das noch?

Solange es mich «loschtig tunkt». Das kann durchaus noch eine Weile sein. Festlegen will ich mich nicht.

Das Gespräch führte Michael Ulmann.

Regionaljournal Ostschweiz; 07.07.2020; 17:30 Uhr ; 

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