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Spaniens neue Regierung und die Aufarbeitung der Geschichte
Aus Echo der Zeit vom 19.06.2018. Bild: Reuters
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Streit um Francos Gebeine Spaniens Kampf mit der eigenen Geschichte

Das Mausoleum des spanischen Diktators ist eine Kultstätte der Faschisten. Nun soll sie zum Ort der Versöhnung werden – ein schwieriges Unterfangen.

«Eine Heimat, ein Staat, ein Führer»: In Deutschland kennt man solche Parolen nur noch aus dem Geschichtsunterricht. In Spanien sind sie vielen Menschen noch immer präsent: Sie sind die Insignien einer Diktatur, in der die ältere Generation ihr halbes Leben verbrachte.

In Madrid herrschte bis 1975 das faschistische Regime von Francisco Franco. Der Weggefährte und Bewunderer von Adolf Hitler und Benito Mussolini galt vielen als Relikt eines vermeintlich überwundenen Totalitarismus.

In Spanien selbst führte Franco fort, wofür auch seine zweifelhaften Vorbilder standen: Imperiale Grossmachtphantasien, radikaler Nationalismus und Kampf gegen die «bolschewistischen Horden» aus dem Osten.

Franco im Sarg bei seiner Beerdigung
Legende: Das Kreuz und der General: Seit dem Ende des spanischen Bürgerkriegs herrschte General Francisco Franco diktatorisch über das Land – im Pakt mit der katholischen Kirche. Reuters/Archiv

Am 20. November 1975 verstarb Spaniens langjähriger Diktator. Es war das Ende einer brutalen Willkürherrschaft, die schätzungsweise 100'000 Spaniern das Leben kostete; viele mehr litten unter der gnadenlosen Repression des Regimes.

Francos Tod war der Anfang eines demokratischen Übergangs, der ohne echte Aufarbeitung der Verbrechen des faschistischen Regimes stattfand. Noch heute suchen viele Menschen nach ihren Angehörigen, die irgendwo in Massengräbern verscharrt wurden. Und noch immer liegen Francos sterbliche Überreste im Valle de los Caidos.

Das «Tal der Gefallenen» ist ein gewaltiges Mausoleum, an dem neben dem Diktator auch abertausende seiner Opfer liegen. Der Militärdiktator liess die Anlage einst von Zwangsarbeitern für die Gefallenen des spanischen Bürgerkriegs bauen – und zur Verherrlichung der Falange, der spanischen faschistischen Bewegung.

Das Tal der Gefallenen
Legende: Totalitärer Gigantismus unweit von Madrid: Ein 155 Meter hohes Betonkreuz wacht über eine Art Basilika. Reuters

Nun hat der neue sozialistische Regierungschef Pedro Sánchez angekündigt, den Leichnam des früheren Diktators zu exhumieren. Die Regierung will aus dem Mausoleum einen «Ort der Versöhnung» machen.

Sozialisten wollen Ende der «Verherrlichung»

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Vize-Ministerpräsidentin Carmen Calvo sagte am Montag, die Regierung wolle einen bereits bestehenden Parlamentsbeschluss nun «in die Praxis umsetzen». Der Sprecher der regierenden Sozialisten, Oscar Puente, sagte, das Mausoleum solle nicht länger die Diktatur «verherrlichen», sondern vielmehr versöhnen.

Im vergangenen Jahr hatte eine grosse Mehrheit der Abgeordneten die damalige Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy zur Umbettung der Gebeine aufgefordert. (sda)

Aus dem Valle de los Caidos eine Erinnerungsstätte für beide Seiten zu machen, dürfte aber schwer werden, sagt Spanien-Kenner Georg Pichler: «Das Kreuz dominiert die Landschaft. Schon rein ästhetisch ist es ein Hinweis darauf, wer es zu welchem Zweck geschaffen hat.» Spaniens Premier wolle aber etwas tun, was man von schon vor vierzig Jahren hätte machen sollen, so Pichler: Franco aus der öffentlichen Debatte entfernen.

Gegen das Vergessen

Neu sind die Pläne nicht. Schon die sozialistische Regierung um José Zapatero, die von 2004 bis 2011 amtete, wollte Francos sterbliche Überreste exhumieren lassen. Sie habe es letztendlich aber nicht gewagt, wirklich durchgreifende Massnahmen zur Aufarbeitung der faschistischen Diktatur umzusetzen, sagt Pichler.

Georg Pichler

Georg Pichler

Germanistik-Professor in Madrid

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Georg Pichler ist Professor für deutsche Sprache und Literatur in Madrid. Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die literarische Verarbeitung des spanischen Bürgerkriegs.

Erst seit der Jahrtausendwende ist eine wirkliche Bewegung im Land entstanden. Die Nachgeborenen fordern, dass die Verbrechen von damals aufgearbeitet werden. Allem voran soll das Schicksal der vermissten Opfer aufgeklärt werden.

Lange Jahre verhinderten dies konservative Kräfte in Medien und Politik, berichtet Pichler: «Ein Teil der Bevölkerung will auch, dass man die Vergangenheit ruhen lässt.»

Der spanische Sonderfall

Während Deutschland die Schrecken des Nationalsozialismus akribisch aufarbeitete, ist eine vergleichbare Entwicklung in Spanien ausgeblieben. Auch, weil das Regime der Bevölkerung jahrzehntelang unwidersprochen seine Geschichte erzählen konnte.

«Das Regime hatte sehr viel Zeit, seine Sicht auf den spanischen Bürgerkrieg durchzusetzen und die Jahre davor», sagt Pichler. Es gebe mindestens zwei Generationen, die francistisch indoktriniert worden seien: «Für sie ist es sehr schwer, plötzlich einen neuen Standpunkt einzunehmen.»

Rajoy in einer Archivaufnahme.
Legende: Die konservative Regierung um Mariano Rajoy tat sich schwer mit der Aufarbeitung. Sie zerstritt sich etwa mit den Sozialisten bei der Frage, ob der Staat die Suche nach verschollenen Opfern subventionieren sollte. Reuters/Archiv

Schliesslich gebe es auch einen «soziologischen Francismus» in Spanien. Der Begriff kam in den 1980ern und 1990ern auf, schildert Pichler: «Er beschreibt Demokraten, die in der francistischen Tradition aufgewachsen sind und ihre Vergangenheit nicht einfach umwerfen wollen.» Pichler warnt aber davor, diese Menschen mit Francisten oder gar Faschisten gleichzusetzen.

Politisches Kalkül der Sozialisten

Doch warum sollte es gerade der Minderheitsregierung von Pedro Sánchez gelingen, etwas an dieser Geschichtsvergessenheit zu ändern? Zunächst, sagt Pichler, habe die spanische Gedächtnisbewegung in den letzten Jahren deutlich an Rückenwind gewonnen.

«Sie wurde auch internationalisiert, nachdem eine argentinische Richterin tat, was die spanischen Richter nicht taten: Sie stellte die noch lebenden Folterer des Franco-Regimes vor Gericht», berichtet Pichler.

Die im Parlament schwach abgestützte Regierung Sánchez handle aber auch aus machtpolitischen Kalkül, sagt Pichler: «Sie fährt einen wirtschaftlich eher rechten Kurs und möchte nun auch auf der linken Seite punkten.» Schliesslich stehen nach dem Sturz der Regierung Rajoy bald die nächsten Wahlen an.

Das Franco-Regime in Spanien

Unter Führung von General Francisco Franco putschten konservativ-monarchistische Militärs 1936 gegen die demokratisch gewählte, republikanische Regierung, was den spanischen Bürgerkrieg auslöste. Nach dessen Ende regierte Franco ab 1939 Spanien als Diktator. Unter dem rechten Franco-Regime kam es zu brutalen Säuberungsaktionen, in denen Hunderttausende politische Gegner verhaftet, in Konzentrationslager gesteckt, gefoltert und umgebracht wurden.
Während des Zweiten Weltkriegs wahrte Franco Neutralität und schaffte es, Spanien aus den Kriegswirren herauszuhalten – auch wenn zahlreiche Spanier als Freiwillige auf Seiten Nazi-Deutschlands an der Ostfront gegen die Sowjetunion kämpften. Während des Kalten Kriegs gehörte Diktator Franco zu den führenden Antikommunisten in Europa. Er verfolgte eine restriktive Aussenpolitik gegenüber der Sowjetunion und den Staaten des Ostblocks.
Die symbolischen Interventionen Spaniens im Koreakrieg und später im Vietnamkrieg an der Seite der USA beendete die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs anhaltende Isolation Spaniens und legitimierte das Franco-Regime international. Nach wirtschaftsliberalen Reformen kam es in den 1960er Jahren unter Francos Herrschaft in Spanien zum grössten Wirtschaftswachstum im 20. Jahrhundert – nicht zuletzt dank des blühenden Tourismus. Dies machte das Land zu einer der weltweit grössten Volkswirtschaften.
1969 ernannte Franco den späteren König Juan Carlos I. zu seinem Nachfolger. Zur gleichen Zeit nahm der Widerstand gegen das Franco-Regime zu, doch ein Machtwechsel konnte nicht erreicht werden. Erst mit dem Tod Francos am 20. November 1975 endete die Diktatur in Spanien. Im November gleichen Jahres wurde Juan Carlos zum König ernannt. Im Juni 1977 fanden die ersten freien Parlamentswahlen seit 1936 statt, das diktatorische Regime fand ein Ende. 1978 verabschiedete Spanien eine Verfassung und wurde zur konstitutionellen Monarchie.
Nach und nach wurden die von Anhängern Francos besetzten Ämter geräumt. Ein neuer Putschversuch rechter Militärs im Jahr 1981 scheiterte unter anderem daran, dass König Juan Carlos diesem entschlossen entgegen trat. 1982 übernahmen erstmals die Sozialdemokraten die Regierung. Ebenfalls 1982 trat Spanien dem transatlantischen Verteidigungsbündnis Nato bei, 1986 der Europäischen Union.

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