Auch Schweizer müssen neidlos anerkennen: Das Panorama bei der Fahrt vom Aiguille de Midi (3842 Meter) zur Pointe Helbronner (3462) gehört zum spektakulärsten, was die Alpen zu bieten haben. Entsprechend beliebt ist die Gondelfahrt bei Touristen aus aller Welt – auch weil sie den Blick auf den mit 4810 Metern höchsten Berg der Alpen, den Mont Blanc, freigibt.
Auch für einen Touristen aus Südkorea sollte es ein unvergesslicher Trip werden. Allerdings anders als geplant: «Wir hatten grosse Angst und haben eine schwierige Nacht hinter uns. Ich will nicht mehr daran denken», sagte der übernächtigte Mann, als er wieder festen Boden unter den Füssen hatte.
Bis zu 17 Stunden waren Dutzende Touristen in den kleinen Gondeln blockiert; spätestens als die Nacht hereinbrach, wich der letzte Rest Ferienstimmung einem Alptraum: Schlafentzug, klirrende Kälte, Ungewissheit.
Am Morgen schliesslich konnte die Bahn wieder in Gang gesetzt werden. Die Hängepartie auf dem Dach Europas war dann auch für diejenigen vorbei, die am Donnerstagabend nicht mehr hatten evakuiert werden können.
Schweizer Retter haben mehr Freiheiten
Herausfordernd war die Nacht aber auch für die Retter. Anjan Truffer, Bergrettungschef von Zermatt, schildert, wie eine Luftrettung im alpinen Hochgebirge abläuft: «Die Retter werden direkt zu den Gondeln abgeseilt, gehen hinein und bereiten die Personen auf die Evakuation vor.» Schliesslich werden die Eingepferchten an Bord geholt und ausgeflogen – was für die Retter Routine ist, dürfte bei gewöhnlichen Touristen den Puls in ungeahnte Höhen schnellen lassen.
Doch nicht überall haben die Rettungskräfte die gleichen Möglichkeiten. In der Schweiz verfügten sie etwa, wie Truffer ausführt, über ein System, das die gleichzeitige Evakuierung von bis zu sechs Personen erlaube: «Das ist natürlich sehr effizient. In Frankreich müssen die Leute einzeln ausgeflogen werden – das ist eine gesetzliche Regelung, auf die die Retter und Piloten keinen Einfluss haben.»
Und, in der Schweiz darf bei Notfällen auch in der Nacht geflogen werden – in der EU sind Nachtflüge verboten. So hätten die Eingeschlossenen in der Schweiz – gute Flugbedingungen vorausgesetzt – die Nacht möglicherweise nicht in luftiger Höhe verbringen müssen.
Erschwerte Bedingungen
Doch die Piloten hatten während der Rettungsaktion nicht nur mit der Brüsseler Bürokratie zu kämpfen. «Im Gegensatz zu einer klassischen Bergrettung aus einer Felswand hat der Pilot in einem Fall wie gestern keine Referenzpunkte. Er schaut entweder irgendwo in den Schnee oder in den Himmel.»
Die Kommunikation zwischen Pilot und Retter am Seil verzeiht keine Fehler; und auf weit über 3000 Metern müsse, so Truffer, auch der Leistungsverlust beim Helikopter einkalkuliert werden – von widrigen Sichtbedingungen mit Nebel und hereinbrechender Dämmerung ganz zu schweigen.
Die Leute wissen sich Gott sei Dank auch selber zu helfen.
Neben der Technik spielt allerdings auch der Faktor Mensch eine Rolle. So verbrachten fünf Rettungskräfte die Nacht mit den Gestrandeten in den Gondeln – auch, um den Menschen in der ungewohnten Situation ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Allerdings: ‹Kinder, Frauen und ältere Menschen zuerst!› könne es bei einer Gondelbahn mit vielen Kabinen kaum heissen, schildert Truffer.
«Man hat keine Informationen, in welcher Gondel sich wer befindet. Von daher wird nach dem Prinzip Schnelligkeit und Effizienz gearbeitet.» Im Gegensatz dazu würde bei grossen Einzelkabinen natürlich die Befindlichkeit einzelner Passagiere, etwa, wenn sich Schwangere oder ältere Menschen darunter befinden, berücksichtigt.
Aus eigener Erfahrung weiss Truffer, dass Panik an Bord um jeden Preis verhindert werden muss: «Es ist wichtig, dass man die Leute über die Situation und die laufenden Rettungsarbeiten informiert. Man muss sie beruhigen – denn sie befinden sich in dem Moment nicht in Lebensgefahr.» Schliesslich sei, so Truffer, auch Improvisationstalent gefragt – bei Rettern wie Gestrandeten. «Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass sich die Leute Gott sei Dank auch selber zu helfen wissen.»