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30 Jahre Photoshop Mit den Falten verschwand auch ein Stück Wirklichkeit

Photoshop hat die Bildbearbeitung revolutioniert. Kleine Makel einer Aufnahme können einfach ausgebügelt werden. In Verruf geriet Photoshop jedoch insbesondere durch die Möglichkeit, Gesichter zu glätten und so nicht nur das Bild, sondern auch das Schönheitsempfinden der Betrachter zu manipulieren.

Ist das glatte Gesicht auf der Titelseite der Modezeitschrift wirklich ein Geschenk der Natur oder vielmehr das Resultat unzähliger Klicks der Grafikerin? Einem Bild müsse man grundsätzlich misstrauen, sagen böse Zungen. Unbestritten ist, dass sich der Umgang mit Fotos seit 1990, als das Bildbearbeitungsprogramm Photoshop auf den Markt kam, verändert hat.

Hände auf Bildbearbeitungsprogramm.
Legende: Nachbearbeiten und retuschieren nach Lust und Laune - bequem am Computer. imago images

Fotografen aus der Dunkelkammer gejagt

Für das grafische Gewerbe war Photoshop in erster Linie ein Segen. Unerwünschtes konnte nun auch nach der Fotoaufnahme noch korrigiert werden, sagt Gian Vaitl, Fotograf und Dozent an der Journalistenschule MAZ in Luzern: «Die Fotografen wurden damals aus ihren Dunkelkammern an ihre Computer gejagt. Und haben mit Photoshop eine Unterstützung bekommen, die sehr schnell und zuverlässig ihre Bilder bearbeitete.» Aufhellen, farbliche Anpassungen, nachschärfen – der Bearbeitung des Bildes sind mittlerweile keine Grenzen mehr gesetzt.

Photoshop wird heute von Millionen von Nutzern verwendet. Es ist damit –trotz der mittlerweile entstandenen Konkurrenzprodukte – immer noch die Nummer eins auf dem Markt.

Zum Einsatz kommt es nicht nur auf dem heimischen Computer, sondern vor allem bei Medien- und Verlagshäusern. Inwiefern können Bilder heutzutage überhaupt noch die Realität abbilden? «Bilder waren nie ‹echt› in dem Sinne. Man hat schon immer einen Ausschnitt ausgewählt», betont Vaitl. Es sei auch schon vor der Erfindung von Photoshop geschnippelt und geklebt worden. So gesehen sei Photoshop einfach eine Fortsetzung dieser Entwicklung.

Mehr Natürlichkeit gefordert

Eine Entwicklung, die aber teilweise aus dem Ruder lief und Photoshop viel Kritik einbrachte. Gerade in der Modefotografie wurden Stimmen laut, die wieder mehr Natürlichkeit forderten. Der Trend gehe auch in diese Richtung, sagt Patrick Pierazzoli, Chefredaktor des Schweizer Lifestyle-Magazins Faces. Bilder würden heute tendenziell wieder weniger bearbeitet als zu den Anfangszeiten von Photoshop. Man tue dies vor allem weniger offensichtlich. «Wenn so ein Tool neu ist, gehen alle mal an die Grenze und darüber hinaus.» So weit, bis niemand mehr die völlig retuschierten Bilder mehr sehen konnte.

Jedes Programm ist immer nur so gut wie sein Nutzer. So gesehen ist Photoshop Fluch und Segen. Zudem hat eine gesellschaftliche Sensibilisierung stattgefunden. Dass das Titelbild in der Modezeitschrift nur beschränkt die Wirklichkeit abbildet, weiss heute jedes Kind, oder zumindest jeder Hobby-Fotograf.

Tagesschau, 19.02.2020, 19.30 Uhr; frol

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