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Alt werden mit Polio Die Kinder von damals kämpfen bis heute

In der Schweiz gilt Polio seit 30 Jahren als ausgerottet. Trotzdem ist die Krankheit bis heute nicht verschwunden.

«Kinderlähmung? Soweit ich weiss, bin ich dagegen geimpft.» In der Schweiz heute die gängige Antwort. Kinderlähmung oder Poliomyelitis: Eine Krankheit, ausgelöst durch Polio-Viren. Sie kann wie eine Grippe verlaufen – oder aber schlimmstenfalls durch die Lähmung der Atemorgane zum Tod führen.

Meist sind Kinder unter fünf Jahren betroffen – daher der Name «Kinderlähmung». Doch die Zeiten, in denen sich in der Schweiz Kinder mit Polio infizierten , liegen lange zurück.

Poliomyelitis in der Schweiz

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Die letzte grosse Epidemie mit 1628 Betroffenen traf die Schweiz 1954. Damals versetzten ein Husten oder Fieber die Eltern in Alarmbereitschaft.

Ab 1957 gab es Grund, aufzuatmen. Die in den USA entwickelte Polioimpfung wurde in der Schweiz eingeführt.

Die Anzahl der Neuerkrankungen nahm rapide ab. Der letzte Wildpoliofall wurde 1982 gemeldet. Seither gilt die Schweiz als poliofrei.

Schleichende Verschlechterung

Christof Sautter, heute 73 Jahre alt, hatte nie Polio. Das dachte er zumindest. Als er jedoch um die 30 war, konnte er seinen linken Arm immer schlechter anheben. Eine erschreckende Entdeckung für den leidenschaftlichen Bratschen-Spieler. Zunehmend wurde sein Arm schwächer. Als er einen Arzt aufsuchte, stellte dieser ihm die überraschende Diagnose: Post-Polio-Syndrom.

Die Folgen der Polioerkrankung kennt Theres Peyer nicht erst seit ihrem 30. Lebensjahr. Sie traf es schlimmer: Im Alter von fünf Jahren bekam sie zeitgleich mit ihrer Schwester Fieber. Das klang wieder ab. Die Lähmungen blieben. Von da an begleiteten sie eine Beinscheine und Stöcke durchs Leben.

Dann, im Alter von 45 Jahren, wurde sie zunehmen schwächer. Ihre Beine und der Rücken waren erschöpft. Und seit einer Rückenoperation sitzt sie im Rollstuhl. Auch dies eine Spätfolge ihrer Polioinfektion.

Doch was ist denn eigentlich Post-Polio?

Mit dem Post-Polio-Syndrom, kurz PPS, bezeichnet man die über viele Jahre andauernde, massive Überbeanspruchung der nach einer Polioinfektion verbleibenden motorischen Neuronen, welche letztendlich zu deren Zerstörung führt.

Oder anders ausgedrückt: Steckt man sich in jungen Jahren mit dem Polio-Virus an, kann das Nerven zerstören. Die verbleibenden, gesunden Nerven müssen dann die Arbeit der abgestorbenen übernehmen. Sie werden also doppelt beansprucht. Eine solche Überbelastung über mehrere Jahre führt schliesslich auch zum Absterben der gesunden Nervenzellen. Die Folge: Bestehende Lähmungen verschlimmern sich oder breiten sich aus.

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Mit Polio kämpft man ein Leben lang

Bei Theres Peyer machten sich die überlasteten Nervenzellen bemerkbar, als sie 45 Jahre alt war. Für Christof Sautter ging es bereits vor 30 Jahren los. Rückblickend sieht er die Anzeichen dafür ganz klar. Auf alten Fotos scheint es, als sei sein Arm immer irgendwie in Schonhaltung. Und auch im Turnunterricht überforderten ihn jene Übungen, bei denen beide Arme gebraucht wurden.

Mit diesem Schicksal umzugehen, ist nicht immer einfach. So sind die Einschränkungen durch die Folgen einer Kinderlähmung von Person zu Person sehr unterschiedlich. Eines haben die Betroffenen jedoch gemeinsam. Sie mussten sehr früh lernen, sich durchzusetzen.

Therese Peyer ging auf Reisen, studierte Medizin und wurde Ärztin am Berner Inselspital – mit Beinschiene und Stöcken. Und obwohl Christof Peyer eine Musiker-Karriere durch die Folgen von Polio verunmöglicht wurde, spielt er auf seiner Bratsche, wann immer und so oft er kann.

Weiteratmen trotz Lähmung der Lunge

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Eine eiserne Lunge

In den meisten Fällen verläuft eine Polioinfektion nur mit grippeartigen Symptomen. Bei einer von 200 Infektionen kommt es zu unwiderruflichen Lähmungen. Und bei fünf bis zehn Prozent zum Tod wegen einer Lähmung der Atemmuskulatur.

Vor der Entdeckung des Impfstoffes gegen Polio kam eine Lähmung des Atemorgans einem Todesurteil gleich. Denn Patienten konnten noch nicht künstlich beatmet werden. Erst im Jahr 1951 half eine grandiose Entdeckung Betroffenen, trotz Lähmungen weiteratmen zu können: Die eiserne Lunge.

Wie es sich anfühlt, Monate lang in einer solchen eisernen Lunge eingeschlossen zu sein, erzählt die 75-jährige Erika Gehrig:

«Das Gefühl, in einer Röhre zu stecken, nicht raus zu können, hat mir am meisten Eindruck gemacht. Und die Geräusche der Maschine. Die waren ganz schlimm zu Beginn.»

Mehr dazu im «Anno Puls»: Die eiserne Lunge .

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