«Kinderlähmung? Soweit ich weiss, bin ich dagegen geimpft.» In der Schweiz heute die gängige Antwort. Kinderlähmung oder Poliomyelitis: Eine Krankheit, ausgelöst durch Polio-Viren. Sie kann wie eine Grippe verlaufen – oder aber schlimmstenfalls durch die Lähmung der Atemorgane zum Tod führen.
Meist sind Kinder unter fünf Jahren betroffen – daher der Name «Kinderlähmung». Doch die Zeiten, in denen sich in der Schweiz Kinder mit Polio infizierten , liegen lange zurück.
Schleichende Verschlechterung
Christof Sautter, heute 73 Jahre alt, hatte nie Polio. Das dachte er zumindest. Als er jedoch um die 30 war, konnte er seinen linken Arm immer schlechter anheben. Eine erschreckende Entdeckung für den leidenschaftlichen Bratschen-Spieler. Zunehmend wurde sein Arm schwächer. Als er einen Arzt aufsuchte, stellte dieser ihm die überraschende Diagnose: Post-Polio-Syndrom.
Die Folgen der Polioerkrankung kennt Theres Peyer nicht erst seit ihrem 30. Lebensjahr. Sie traf es schlimmer: Im Alter von fünf Jahren bekam sie zeitgleich mit ihrer Schwester Fieber. Das klang wieder ab. Die Lähmungen blieben. Von da an begleiteten sie eine Beinscheine und Stöcke durchs Leben.
Dann, im Alter von 45 Jahren, wurde sie zunehmen schwächer. Ihre Beine und der Rücken waren erschöpft. Und seit einer Rückenoperation sitzt sie im Rollstuhl. Auch dies eine Spätfolge ihrer Polioinfektion.
Doch was ist denn eigentlich Post-Polio?
Mit dem Post-Polio-Syndrom, kurz PPS, bezeichnet man die über viele Jahre andauernde, massive Überbeanspruchung der nach einer Polioinfektion verbleibenden motorischen Neuronen, welche letztendlich zu deren Zerstörung führt.
Oder anders ausgedrückt: Steckt man sich in jungen Jahren mit dem Polio-Virus an, kann das Nerven zerstören. Die verbleibenden, gesunden Nerven müssen dann die Arbeit der abgestorbenen übernehmen. Sie werden also doppelt beansprucht. Eine solche Überbelastung über mehrere Jahre führt schliesslich auch zum Absterben der gesunden Nervenzellen. Die Folge: Bestehende Lähmungen verschlimmern sich oder breiten sich aus.
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Mit Polio kämpft man ein Leben lang
Bei Theres Peyer machten sich die überlasteten Nervenzellen bemerkbar, als sie 45 Jahre alt war. Für Christof Sautter ging es bereits vor 30 Jahren los. Rückblickend sieht er die Anzeichen dafür ganz klar. Auf alten Fotos scheint es, als sei sein Arm immer irgendwie in Schonhaltung. Und auch im Turnunterricht überforderten ihn jene Übungen, bei denen beide Arme gebraucht wurden.
Mit diesem Schicksal umzugehen, ist nicht immer einfach. So sind die Einschränkungen durch die Folgen einer Kinderlähmung von Person zu Person sehr unterschiedlich. Eines haben die Betroffenen jedoch gemeinsam. Sie mussten sehr früh lernen, sich durchzusetzen.
Therese Peyer ging auf Reisen, studierte Medizin und wurde Ärztin am Berner Inselspital – mit Beinschiene und Stöcken. Und obwohl Christof Peyer eine Musiker-Karriere durch die Folgen von Polio verunmöglicht wurde, spielt er auf seiner Bratsche, wann immer und so oft er kann.