Forscher der Universität Bern haben in einem interdisziplinären Projekt die Überreste von südsibirischen Reiterkriegern ausgegraben und untersucht. Die Steppennomaden lebten vor rund 1700 Jahren in der Region von Tuva – in einer mutmasslich äusserst gewaltvollen Zeit, wie der Forschungsleiter Marco Milella erklärt.
SRF News: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse Ihrer interdisziplinären Untersuchung?
Marco Milella: Unter den Reiterkriegern in Südsibirien gab es in den ersten Jahrhunderten nach Christus viel Gewalt, aber auch mysteriöse Rituale, deren Sinn und Zweck bislang ungeklärt sind. So fanden wir beispielsweise am Hals der untersuchten Skelette kleine Verletzungen, die beim Töten von Opfern verursacht worden sein könnten.
Kriegerische Auseinandersetzungen und blutige Kampfpraktiken spielten in diesen südsibirischen Gemeinschaften also eine wichtige Rolle?
Ja, aber das wissen wir bereits aus historischen Quellen. Neu ist jetzt, dass wir die Menschen – oder ihre Überreste –, die in diesen Quellen beschrieben wurden, physisch untersuchen können.
Manche Skelette wurden geköpft – das deutet auf intensive Gewalt mit ritueller Komponente hin.
Die Skelette, die Sie in den Gräbern gefunden haben, zeigen, dass jede vierte Person durch Gewalteinwirkung ums Leben kam. Wie muss man sich das vorstellen?
Bei vielen Skeletten stellten wir Verletzungen fest, manche von ihnen waren zudem geköpft worden. Das deutet auf intensive Gewalt mit einer manchmal auch rituellen Komponente hin. Unter den gewalttätig umgekommenen Opfern waren übrigens nicht nur Männer, sondern auch – wenn auch in geringerem Masse – Frauen und Kinder.
Welche konkreten neuen Erkenntnisse haben Sie durch Ihre Forschungsarbeit gewonnen?
Wir haben nicht nur zeigen können, dass Gewalt in der Reiterkultur sehr wichtig war, sondern auch, dass es dabei rituelle Komponenten gab – wozu bleibt bislang allerdings unklar. Während der ersten Jahrhunderte nach Christus durchlief die östliche Steppe eine Periode der politischen Instabilität nach dem Zerfall des Steppenreichs der Xiongnu. Dieser politische Wandel hatte einen starken Einfluss auf das Leben der Menschen.
Wir schlafen in Zelten in einem Sumpf, stehen um sechs Uhr morgens auf, es hat viele Stechmücken. Es ist körperlich sehr streng.
Seit 2017 arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uni Bern zusammen mit russischen Forscherinnen und Forschern in Tuva an der Grenze zur Mongolei an den Skeletten. Wie gestaltet sich die dortige Arbeit?
Wir können jeweils nur während der Sommermonate arbeiten. Im Herbst und Winter ist alles gefroren und zugeschneit. Die Bedingungen sind schwierig: Wir schlafen in Zelten in einem Sumpf, stehen um sechs Uhr morgens auf und fahren mit einem Militärtransporter zur Grabungsstelle. Die Temperatur sinkt über Nacht auf tiefe Werte, tagsüber gibt es viele Stechmücken. Es ist körperlich sehr streng, dort zu arbeiten – aber auch sehr interessant.
Solch intensive interdisziplinäre Projekte sind aber nicht alltäglich für einen Forscher, oder?
Nein, leider nicht. Aber die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist das richtige Vorgehen, um interessante Forschung zu machen und Ergebnisse zu erzielen. Ausserdem ist es auch eine Chance, um als Forscher und Mensch zu wachsen.
Das Gespräch führte Anneliese Tenisch.