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«Big Data» im Fussball Auf dem Weg zum gläsernen Spieler

Datendiagnostiker arbeiten als «rechte Hand des Trainers». Die Technologie kann immer mehr; die Schweiz hinkt hinterher.

An der Fussball-WM in Russland werden wir erstmals Trainer zu Gesicht bekommen, die ein Headset tragen. Nicht um zu telefonieren, sondern um mit ihrem Daten-Diagnostiker zu sprechen. Die Trainer haben also künftig «einen Mann im Ohr». Der sitzt auf der Tribüne und beobachtet das Spiel. Er schaut, was gut läuft und was nicht – von Auge aber auch mit Hilfe von Live-Videostreams auf seinem Notebook und Analyse-Software. Seine Erkenntnisse übermittelt der Daten-Diagnostiker dann dem Trainer, der während des Spiels die Strategie immer wieder anpassen kann.

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Gespräch mit Sascha Stauch
26:24 min
abspielen. Laufzeit 26 Minuten 24 Sekunden.

Diese Kommunikation ist seit 1. Juni von der Fifa bewilligt, erzählt Sascha Stauch, der beim Schweizer Fussballverband zuständig ist für Spielanalyse und Spielentwicklung. Das Beispiel zeigt, wie wichtig Diagnostik im modernen Fussball geworden ist. Das beginnt bereits im Training, wie ein Besuch beim FC Basel zeigt.

Mit GPS-Tracking effizienter trainieren

Joël Langenauer arbeitet beim FCB als Leistungs-Diagnostiker und Konditions-Trainer. Als ich ihn darauf anspreche, dass heute auch Automechaniker «Diagnostiker» heissen, antwortet er lachend: «Ich hoffe, wir müssen nicht auch bald bei den Spielern einen Computer anschliessen, damit wir wissen, ob sie 'tschutten' können – oder nicht».

Doch der Gedanke ist gar nicht abwegig, denn Langenauer liest tatsächlich regelmässig die «Werte» seiner Spieler aus – nicht direkt aus dem Mensch allerdings, sondern aus einem GPS-Tracker. Den tragen die Spieler – auch jene des Nachwuchses – so gut wie bei jedem Training und bei jedem Match.

Ein Koffer mit sauber aufgereihten GPS-Trackern, die am Aufladen sind.
Legende: Jedem Spieler sein Tracker: Im Koffer laden sich die Geräte auf und via Kabel kann Diagnostiker Joel Langenauer die Daten von allen Spielern gleichzeitig auslesen. Reto Widmer / SRF

Die Geräte zeichnen jede Bewegung auf und messen die Beschleunigung, also auch Sprünge, Kopfbälle oder Körperkontakte. Seit diesem Jahr setzt der FCB diese mobile Technologie ein, neben dem schon länger fix installierten LPM (Local Position Measurement).

Unterstützung für den Trainer, am besten in Echtzeit

Aus den Daten kann Joël Langenauer verschiedene Schlüsse ziehen. Er kann sie international vergleichen und Soll-Werte ableiten, welche die Spieler erreichen müssen, um vorne mit dabei zu sein. Weiter kann er einen ganzen Jahrgang von Spielern verfolgen und schauen, wie sich erfolgreiche Spieler von denen unterscheiden, die nicht reüssierten.

Die Rückseite des «Sport BH»: Ein GPS-Gerät etwa so gross wie eine Zigarettenschachteln, in einer Halterung, zwei LEDs leuchten (rot und grün).
Legende: Das GPS-Gerät ist auf der Rückseite des speziellen «Gschtältli» montiert. Reto Widmer / SRF

Die Daten helfen auch beim Training. Dafür definiert der Trainer einen sogenannten «Trainings-Load»: eine Art Pflichtenheft, das festlegt, was ein Spieler im nächsten Training alles erreichen muss. Die Kontrolle, ob der spieler diesen «Load» erfüllt, war bis anhin ganz von der Beobachtung des Trainers abhängig. Dank den GPS-Trackern aber kann Joël Langenauer nach den Trainings überprüfen, ob die Eindrücke des Trainers stimmen.

Joël Langenauer, Diagnostiker beim FCB, sitzt vor zwei Computermonitoren.
Legende: Joël Langenauer, Leistungs-Diagnostiker und Konditions-Trainer beim FCB, schaut sich die letzten Trainings-Daten der U18 an. Reto Widmer / SRF

Ein unschätzbarer Vorteil, der nur noch zu überbieten ist durch eine Echtzeit-Analyse: Der Daten-Analyst sitzt während des Trainings am Rand des Spielfelds und sieht auf dem Computer jederzeit, welche Spieler den «Trainings-Load» gerade erfüllen und welche nicht. Anpassungen sind dann sofort möglich und nicht erst im nächsten Training.

Der FCB setzt Live-Analyse bis jetzt erst in der 1. Mannschaft ein. Joël Langenauer peilt den Fortschritt aber auch für die Nachwuchsmannschaften an. Das werde genau so kommen wie die Möglichkeite, dank immer mehr Daten ganze «Mannschaftsgefüge» anzuschauen und taktische Auswertungen durchzuführen.

Nicht nur Spieler, sondern ganze Spiele transparent machen

Eine Technologie dazu hat das Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der Deutschen Sporthochschule Köln entwickelt. Doch Institutsleiter Daniel Memmert macht mehr als nur Leistungswerte einzelner Spieler auszuwerten oder Ballkontakte zu zählen. Seine Algorithmen und neuronalen Netze erfassen Spielsituationen und deren Muster und analysieren die Dynamik eines Fussballspiels.

Die Software benötigt acht Sekunden, um ein komplettes Spiel in drei Leistungsindikatoren aufzuschlüsseln aus den Positionsdaten der Fussballspieler und des Balles: Raumkontrolle, Pressing-Index und Pass-Effizienz-Index. Aus diesen Werten kann der Wissenschaftler Empfehlungen ableiten, wie ein Trainer seine Mannschaft – und nicht nur einzelne Spieler – besser auf Sieg trimmen kann.

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Rundgang mit FCB Daten-Diagnostiker Joel Langenauer, Gespräch mit Sportwissenschaftler Daniel Memmert und U18-Trainer Alex Frei.
28:25 min
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Da sich die Qualität der Daten, die bei Trainings und Spielen anfallen, in den nächsten Jahren verbessern wird, geht Memmert davon aus, dass die Technologie schon bald in Echtzeit einsetzbar sein wird. Theoretisch könnte dann ein Knopf im Ohr eines jeden Spielers mit individuellen Anweisungen einer computergenerierten Stimme das Schreien des Trainers vom Spielfeldrand überflüssig machen. Und auch der Daten-Analyst auf der Tribüne könnte sich ganz dem Spiel widmen, wie ein normaler Fan.

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Beitrag auf SRF 4 News (8.6.2018)
05:25 min
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