SRF News: In den 1980er Jahren wurde das erste Biological zugelassen. Seither sind diese Medikamente nicht mehr aus der Therapie chronischer Erkrankungen wegzudenken. Was waren rückblickend die grössten Erfolge?
Alexander Navarini: Das sind aus meiner Sicht die Entwicklung und Nutzung der Interferone, Insulin und des Erythropoetin, die es erlaubt haben, geschickt körpereigene Mechanismen zur Krankheitsbekämpfung zu steuern. Ein Meilenstein war auch der Einsatz von Antikörpern gegen Proteine.
Wie muss man sich die Entwicklung von Biologicals vorstellen?
In erster Linie geht es darum, die Mechanismen einer Krankheit zu verstehen, um diese Mechanismen dann mit Eiweissen zu steuern.
Dafür arbeitet man zum Beispiel mit speziellen Labormäusen, denen Hautstücke von Psoriasis-Patienten transplantiert werden. Diese Haut weist noch keine sichtbaren Zeichen von Psoriasis auf, enthält aber Immunzellen, die durch den Schock der Verpflanzung aktiviert werden.
Natürlich würden wir das Übel Psoriasis gerne an der Wurzel packen.
Innert weniger Wochen bildet sich Schuppenflechte, und die Forscher können erkennen, welche Immunzellen dafür verantwortlich sind.
Ohne diese Zellen keine Psoriasis. Ohne sie würde aber auch kein Mensch überleben. Also sucht man im nächsten Schritt nach schonenden Methoden, die krankhafte Aktivierung dieser Zellen zu unterdrücken – beispielsweise durch Hemmung der wichtigsten Entzündungsbotenstoffe.
Biologicals greifen also nicht bei den Ursachen einer Krankheit an, sondern unterdrücken lediglich die Symptome.
Genau. Natürlich würden wir das Übel Psoriasis gerne an der Wurzel packen. Aber bei mindestens 40 beteiligten genetischen Faktoren – für sich alleine und in Kombination miteinander – und einer unabsehbaren Zahl individueller Umwelteinflüsse und anderer Faktoren ist das ein Ding der Unmöglichkeit.
Die Grundkrankheit bleibt also erhalten und kann ohne das Medikament jederzeit wieder ausbrechen. Anders gesagt: Die Lunte ist zwar nass, die Kanone aber weiterhin geladen?
Das kann man so sagen, ja. Das Biological muss regelmässig eingenommen werden, um beschwerdefrei zu bleiben. Immerhin zeigen neue Studien, dass sich diese dauernde Medikamenteneinnahme positiv auf andere Gesundheitsrisiken auswirkt, die bei Psoriasis-Patienten gehäuft vorkommen.
Lässt die Wirkung nicht mit der Zeit nach?
Diesen Effekt beobachten wir tatsächlich bei einem kleinen Teil der Patienten. Das kann daran liegen, dass das Immunsystem das recht grosse Biological-Molekül als Fremdkörper erkennt und dagegen vorgeht. Bei anderen funktioniert es irgendwann einfach nicht mehr – ohne erkennbaren Grund.
Und wie sieht es mit Nebenwirkungen aus?
Die gibt es natürlich. Vor allem die ständigen Injektionen können Beschwerden verursachen – Schmerzen, Schwellungen, Rötungen –, die besonders für Kinder lästig sind. Leider führt an Spritze oder Infusion aber kein Weg vorbei, da die Eiweissmoleküle bei der Einnahme als Tablette wirkungslos wären. Sie würden im Magen zersetzt.
Gravierendere Nebenwirkungen lassen sich natürlich nie gänzlich ausschliessen. Wegen solchen musste vor Jahren auch schon ein Psoriasis-Medikament vom Markt genommen werden. Durch das wachsende Verständnis in Forschung und Herstellung konnten die Risiken aber deutlich gesenkt werden. Unter anderem auch dadurch, dass heute jeder Therapie mit Biologicals eingehende Abklärungen beim Patienten vorangehen.
Worauf konzentriert sich die Forschung derzeit?
Die Entwicklung bei der Psoriasis ist eine erstaunliche Erfolgsgeschichte: Ein Patient kommt mit Schuppenflechte zu mir und innerhalb weniger Wochen geht es ihm schon erheblich besser. Das ist grossartig!
Bei Neurodermitis hingegen konnten lange keine Erfolge erzielt werden. Potenzial gibt es auch bei schwerer Akne, Rosazea oder Lupus. Gegen Sklerodermie gibt es nach wie vor keine Therapie, und Ulcus cruris, das «offene Bein», ist für Patienten wie Ärzte immer noch eine sehr frustrierende Angelegenheit.
Auch wenn es immer neue und bessere Biologicals gibt: Das Problem der Spritzen bleibt.
Aber auch wenn es immer neue und bessere Biologicals gibt: Das Problem der Spritzen bleibt. Viele Patienten sind sogar bereit, auf ein weniger wirksames Präparat umzusteigen, nur weil es als Tablette eingenommen werden kann!
Gibt es Alternativen?
Eine spannende Entwicklung sind die «kleinen Moleküle», die nicht gespritzt werden müssen. Diese sind wieder näher bei den klassischen «chemischen» Medikamenten und werden im Computer designed.
Bei den Biologicals geht es ja darum, zu erkennen, welcher Botenstoff was bewirkt und wie man ihn hemmt. Bei den «small molecules» will man dagegen erkennen, welche Eiweisse in der Zelle selbst für einen Prozess relevant sind und wie diese moduliert werden können. Die kleinen Moleküle sind dem Namen gemäss so klein, dass sie in die Zelle eindringen können – ihre Grösse und der einfachere Aufbau machen sie auch unempfindlich gegen Verdauungssäfte.
Eine vielversprechende Entwicklung, aber wie gesagt: Das Potenzial der Biologicals ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Das Gespräch führte Franco Bassani