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Dank Gravitationswellen «Man wird extreme und unverstandene Ereignisse beobachten können»

Forschende in den USA haben erstmals Signale von der Kollision eines Schwarzen Lochs mit einem Neutronenstern – einem gestorbenen Stern – eingefangen. Es war ein Ereignis, das Astronominnen und Astronomen weltweit jubeln liess. Diese Beobachtung wurde kürzlich publiziert. Astrophysikerin Sibylle Anderl erklärt, was daran so wichtig ist.

Sibylle Anderl

Wissenschaftsjournalistin bei der «FAZ»

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Sibylle Anderl ist Philosophin sowie promovierte Astrophysikerin und arbeitet bei der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» als Wissenschaftsjournalistin.

SRF News: Was macht diese Beobachtung so interessant und was können wir daraus über das Universum lernen?

Sibylle Anderl: Es ist tatsächlich das erste Mal, dass man mit Gravitationswellen beobachten konnte, wie ein schwarzes Loch einen Neutronenstern schluckt. Das ist nie zuvor gelungen. Aber nicht nur das. Man hat auch vorher noch nie beobachten können, dass ein Schwarzes Loch und ein Neutronenstern in Nachbarschaft zueinander existieren und einander umkreisen. Insofern ist es eine doppelte Premiere. Und dazu kommt noch eine etwas überraschende Tatsache: Man hatte erwartet, dass das Schwarze Loch den Neutronenstern wahrscheinlich zerreissen würde, bevor es ihn schluckt. Jetzt hat man gesehen, dass es den Neutronenstern ganz verschlungen hat.

Ein Schwarzes Loch frisst einen Neutronenstern.
Legende: Illustration eines besonderen Ereignisses im All: Hier verschlingt ein Schwarzes Loch (links) einen Neutronenstern. Keystone

Diese Beobachtung war nur möglich, weil man seit fünf Jahren Gravitationswellen nachweisen kann. Was sind Gravitationswellen genau?

Einstein hat 1915 seine Allgemeine Relativitätstheorie veröffentlicht. Diese besagt, dass Raum und Zeit zusammen eine vierdimensionale Raumzeit bilden. Einstein hat dann relativ schnell festgestellt, dass Massen diese Raumzeit beeinflussen. Das ist auch noch Teil der Relativitätstheorie. Das heisst, Massen krümmen die Raumzeit, und wenn sich Massen beschleunigt bewegen, dann können sie die Raumzeit in Schwingungen versetzen. So wird der Raum, die Raumzeit, gedehnt und gestaucht. Das sind diese Gravitationswellen. Sie breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus.

Wenn sich die Länge durch eine Gravitationswelle geringfügig ändert, dann löschen sich diese Laserstrahlen nicht mehr gegenseitig aus.
Autor: Sibylle Anderl Astrophysikerin und Wissenschaftsjournalistin

Wie werden Gravitationswellen gemessen?

Die Grundidee ist, dass man zwei aufeinander senkrecht stehende Röhren hat. Diese sind mehrere Kilometer lang. In diesen Röhren werden Laserstrahlen überlagert, und zwar so, dass sie sich gegenseitig auslöschen. Diese Auslöschung ist abhängig von der Länge dieser Tunnel. Wenn sich die Länge durch eine Gravitationswelle z.B. geringfügig ändert, dann löschen sich diese Laserstrahlen nicht mehr gegenseitig aus. Und dann sieht man, da hat sich was getan, da ist z.B. eine Gravitationswelle hindurchgelaufen. Das Ganze ist extrem empfindlich, weil wir von winzigen Längenänderungen sprechen. Es sind Bruchteile eines Protonenradius. Das ist unvorstellbar gering und das macht die Herausforderung dieses Experimentes letztendlich auch aus. Es gibt viele Störfaktoren.

Man muss sich vor Augen führen, dass diese Gravitationswellen uns einen neuen Blick in den Kosmos erlauben.
Autor: Sibylle Anderl Astrophysikerin und Wissenschaftsjournalistin

Was erhofft man sich in der Fachwelt von diesen Messungen?

Erstmal muss man sich vor Augen führen, dass diese Gravitationswellen uns einen neuen Blick in den Kosmos erlauben. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird noch viel passieren. Man wird noch viel mehr Kollisionsereignisse sehen. Und das ist spannend, weil je mehr Ereignisse von einem bestimmten Typ man sieht, desto mehr kann man auch Statistik betreiben und allgemeinere Aussagen verfassen. Man wird einen neuen, umfassenden Blick auf den Kosmos gewinnen. Man wird auch Ereignisse beobachten können, die sehr extrem sind und bisher noch völlig unverstanden sind. Sowas wie der Urknall zum Beispiel. Das ist eine Hoffnung, dass man sehr viel weiter in die Vergangenheit gucken kann. Auch Schwarze Löcher im Zentrum von Galaxien würde man gerne mit Gravitationswellen beobachten.

Das Gespräch führte Eliane Leiser.

SRF 4 News, 09.07.2021; 06:52 Uhr; ; 

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