In Frankreichs Bevölkerung spiegelt sich die kolonialistische Vergangenheit des Landes. Gefragt nach der Religion gibt eine Mehrheit das Christentum an, eine weitere grosse Gruppe fühlt sich keiner Religion zugehörig. Und – je nach Statistik – sagen 5.5 oder etwas über 6 Millionen Menschen an, sie glaubten an Allah.
Ein besonderes Ausstellungsprojekt möchte diese Gemeinschaft in ein anderes Licht rücken, als das die Politik zuweilen tut. «Kunst des Islam – eine Vergangenheit für eine Gegenwart» heisst das Projekt, das bis Ende März in Frankreich zu sehen ist. Es ist verteilt auf 18 Städte im ganzen Land: 18 Ausstellungen von Tourcoing im Norden Frankreichs bis nach Marseille im Süden.
Das Ausstellungsprojekt «Arts de l’Islam» hat einen politischen Hintergrund, sagt Yannick Lintz, die Direktorin der Abteilung für «Islamische Kunst» des Louvre. Entstanden sei die Idee vor rund einem Jahr nach der Ermordung des Lehrers Samuel Paty.
Bereits kurz vorher habe Präsident Macron in einer programmatischen Rede gefordert, es brauche mehr Aufklärung über den Unterschied zwischen radikalem Islamismus und Islam.
Ein eigenes Gesicht für jede Ausstellung
Genau dies sei Absicht von «Arts de l'Islam». Die kulturelle Vielfalt des Islam darstellen und aus der ideologischen und in den Medien hysterisch geführten Debatte herausbringen. Wobei diese Vielfalt im Grunde erst nach dem Besuch mehrerer Ausstellungen sichtbar wird. «Denn jede der 18 Ausstellungen in 18 verschiedenen Städten ist anders», sagt Lintz.
Die meisten Objekte einer Ausstellung stammten jeweils aus lokalen Museen und Sammlungen. Ergänzt würden sie durch besondere Einzelstücke aus dem Louvre und anderen nationalen Museen. Damit wolle man zeigen, dass es überall im Land Kunst aus dem islamischen Kulturkreis gebe. Auch hätten so alle Ausstellungen ein eigenes Gesicht.
Für die Ausstellung in Tourcoing wurden Ausstellungsstücke aus der weiteren Region zusammengetragen. Die nationale Leihgabe ist ein prächtiger Kaftan aus dem 19. Jahrhundert. Er stammt aus Marokko und ist eines der wenigen Ausstellungsstücke aus dem Maghreb, das im Rahmen von «Arts de l’Islam» gezeigt wird.
Das passt zum Untertitel «un passé pour un présent» der Ausstellung. Denn der Kaftan schafft den Bezug zwischen Vergangenheit und Gegenwart gleich doppelt: In Tourcoing haben viele Familien Wurzeln im Maghreb. «Für sie ist es eine Möglichkeit zur Begegnung mit dieser Geschichte», sagt Marie-France Berthet, die Kulturdirektorin in der Stadtverwaltung.
Das Kleidungsstück nehme auch Bezug auf die Geschichte der Region im Norden Frankreichs, die lange Zeit eine Hochburg der Textilindustrie in Frankreich gewesen sei. Im Veranstaltungsprogramm, das die Ausstellung begleitet, wolle man auch diesen gemeinsamen Hintergrund aufarbeiten.
Auf einem Tisch im Foyer der Ausstellung liegt geöffnet ein grosses Buch. Es zeigt die Abbildung von der heiligen Städte Mekka und Medina, reich verziert. Das Buch ist nicht aus Karton und Papier, sondern aus Zucker und Schokolade. Es ist die Nachbildung eines Gebetbuchs aus dem frühen 18. Jahrhundert, das im Original in der Ausstellung zu sehen ist.
Eine Studentin der lokalen Fachhochschule für Lebensmittelverarbeitung hat sich davon für ihre praktische Abschlussarbeit inspirieren lassen: Neben dem Buch steht stolz der Fachdozent Sebastien Wandenbul. Idee sei dieser Arbeit sei es, das reich verzierte Buch mit allen Details abzubilden. Auch dies ein Beispiel, wie Kunst aus der Vergangenheit die Gegenwart treffen kann.