Orientierungslose Wirtschaftskapitäne. Politiker, die so lange am Sessel kleben, bis sie zur Karikatur ihrer selbst geworden sind. Sportler, die mit einem letzten grossen Knall abtreten wollen – und wieder und wieder von der nachrückenden Generation blossgestellt werden. Die Liste derjenigen, die den Absprung verpassen, ist lang.
Das neueste Beispiel: François Fillon. Der Präsidentschaftsanwärter der französischen Konservativen klammert sich an seine Kandidatur. Die Justiz bezichtigt er des «politischen Mords», die Medien und politischen Gegner der Verschwörung.
Zeit, «Adieu» zu sagen
Es hilft alles nichts: Der einstige Favorit auf die Nachfolge von Präsident Hollande ist tief gefallen, Beobachter räumen ihm kaum mehr Chancen ein. Und auch die Parteikollegen werfen ihm vor, den Absprung verpasst zu haben.
Wann es Zeit ist zu gehen, weiss Matthias Mölleney. Er war letzter Personalchef der Swissair und für über 70‘000 Leute zuständig. Heute führt Mölleney seine eigene Personalberatungsfirma. Im Gespräch mit SRF News erklärt er, wie man in Würde abtritt.
- Erkenne dich selbst
Standhaftigkeit kann eine Tugend sein, und ohne Rückgrat ist der Weg nach oben kaum zu meistern. Nichtsdestotrotz: Jeder muss wissen, wann eine Schlacht verloren ist, wie Mölleney sagt. «Man muss erkennen, ob sich etwas zu einer Affäre ausweitet oder eben nicht.» Eine selbstkritische Lagebeurteilung ist dabei unerlässlich: «Jeder weiss selbst um seine moralischen, ethischen oder wirtschaftlichen Verfehlungen und kann den Schaden vorhersagen.»
- Dem Shitstorm trotzen
Wer ausharrt bis zum bitteren Ende, dem droht oft ein wenig schmeichelhafter Abgang. Doch kann es Situationen geben, in denen Unnachgiebigkeit belohnt wird: «Wer weiss, dass die Vorwürfe unbegründet sind, sollte durchhalten», sagt der Personalberater. Denn am Ende, so die hehre Hoffnung, wird die Wahrheit siegen. Zumindest, wenn man lange genug «überlebt» hat: «Sich ohne vernünftigen Grund von einem Shitstorm aus dem Amt fegen zu lassen, macht aber auch keinen Sinn.»
- Umgib dich nicht mit Kopfnickern
«Wir bombardieren sie, sie ziehen sich zurück. Die Situation ist vollends unter Kontrolle», beschwichtigte Saddam Husseins Informationsminister während der US-Invasion von 2003 – und belustigte damit eine zweifelhafte Fan-Gemeinde. Muhammad as-Sahhaf, besser bekannt als «Comical Ali», konnte den Zusammenbruch von Saddams Regime jedoch nicht wegreden. Mölleneys Lehre aus ähnlich gelagerten Fällen: «Je weniger Führungspersönlichkeiten grundsätzlich hinterfragt werden, desto gefährlicher ist es.»
- Wider den Tunnelblick
«Wenn ich scheitere, scheitert die ganze Firma» – diese Sichtweise sei nach wie vor verbreitet unter CEOs, schildert Mölleney. Und wer diese Kultur der Unersetzlichkeit in ein Unternehmen hineintrage, laufe Gefahr, den berühmten Tunnelblick zu entwickeln: «Wer in diesem Rollenbild zudem ständig von den Untergebenen bestärkt wird, setzt sich selbst und die Firma gleich», sagt der ehemalige Personalchef der Swissair. Fazit: Wer sich selbst für unverzichtbar hält, verpasst den Absprung definitiv.
- Plane die Zeit danach
Jeden Morgen als Erster ins Büro und am Abend als Letzter das Licht ausmachen: Das mag gut gehen – solange man gefragt ist. «Doch die Welt verändert sich schnell und die Anforderungen an eine Führungskraft nehmen rasant zu», weiss Mölleney. Kommt hinzu: Am Ende einer Karriere von 100 auf 0 gehen, kann brutal enden: «In vielen Unternehmen ist der CEO bis zu seinem letzten Tag vor der Pensionierung unter Hochspannung im Betrieb», so der 56-Jährige, und zitiert einen Witz aus der Branche: «Woran merkt der Top-Manager, dass er pensioniert ist? Wenn er am Morgen hinten in sein Auto einsteigt und es fährt nicht los.»