Amanda Thursfield ist die Direktorin des Cimitero Acattolico. In ihrem Job ist sie mit Herz, Leib und Seele dabei. Sie sagt: «Auf dem Friedhof kommen alle meine Leidenschaften zusammen: die Kunst, die Menschen und das Gärtnern.» Die Kunst, das sind Hunderte Grabsteine und Denkmäler. Blumen, Sträucher, Bäume bilden den Garten. Und dazwischen über und unter der Erde: die Menschen.
«Viele Leute denken, das ist ein Park. Und sie bringen sogar ein Picknick mit. Diese Menschen müssen wir daran erinnern, dass es sich hier um einen Friedhof handelt. Seit 1716, seit genau 300 Jahren schon», erklärt Thursfield die Wahrnehmung des Friedhofs.
Mit den Touristen kamen die Gräber
In der Anfangsphase des Cimitero Acattolico gab es nur wenige Gräber. Das änderte sich im 19. Jahrhundert, als der Tourismus begann: Die Italien-Sehnsucht, der Hunger nach Sonne und Wärme führte zahlreiche Bildungsbürger des Nordens gen Süden.
Nicht alle überlebten die grosse Reise: «Krankheiten, Unglücke mit Kutschen, tödliche Badeunfälle im Tiber. Damals war es unmöglich, einen Leichnam über die Alpen zurück nach Deutschland oder gar bis nach England zu transportieren. Man musste die verstorbenen Italienschwärmer in Rom beisetzen», sagt Thursfield.
Papst bestand auf getrennte Friedhöfe
Waren diese allerdings protestantisch, gab es ein Problem: Der Papst verweigerte ihnen Gräber an der Seite von Katholiken. Es drohten unschickliche Begräbnisse an ungeweihten Orten, wo man Prostituierte, Verbrecher oder Aussätzige verscharrte. Deshalb entstand die Idee des protestantischen, des unkatholischen Friedhofs.
Besonders stolz ist Direktorin Thursfield auf eines der markantesten Gräber: «Wir schätzen uns glücklich, in unserem Garten das Grab des Gaius Cestius zu beherbergen.» Bei diesem Grab handelt es sich um die berühmte Pyramide des antiken Römers Cestius.
Drei Bedingungen für ein Grab
An diesem Ort also konnte man 1716 den ersten Ketzer neben einen anderen betten. Das passte. Und so füllte sich im Lauf der letzten drei Jahrhunderte der schmale Streifen im Schatten der Cestius-Pyramide und der Stadtmauer mit den Gräbern von Protestanten. Später kamen Atheisten, Kommunisten und heute auch Muslime dazu: «Etwa 20 Verstorbene bestatten wir pro Jahr», sagt Thursfield. Um einen Platz zu erhalten, muss man drei Bedingungen erfüllen: Man darf nicht Italiener sein, nicht Katholik und man muss seinen Wohnsitz in Italien haben.
Wie die Italienfahrer des 18. und 19. Jahrhunderts kam auch Amanda Thursfield wegen der Schönheit, der Kunst und dem hellen Licht vor 40 Jahren nach Rom. Sie erfülle alle drei Bedingungenm, sagt Thursfield heiter. Die Grabesstimme überlässt sie anderen, selbst wenn sie über Tote spricht: «Das ist das Grab von Shelley, dessen Sohn übrigens auch hier begraben ist. Shelley war ein grosser Schriftsteller der englischen Romantik und Atheist. Er ertrank im Meer, wurde eingeäschert und hier beigesetzt.»
Die englischen Besucher des Friedhofs erkennt man meist daran, dass sie ihre Schritte zu diesem Grab lenken oder zu jenem von Percy Bysshe Shelleys Dichterkollegen John Keats. Deutsche Touristen hingegen zieht es meist zum Grab von Goethes Sohn August. Oder zu jenem Gottfried Sempers, der die Semper-Oper in Dresden, das ETH-Gebäude und das Stadthaus von Winterthur erbaute und auf einer Italienreise plötzlich verstarb.
Plastikblumen und Fotos sind verboten
Unkatholisch ist es hier. Und irgendwie auch unitalienisch, nordisch. Amanda Thursfield weiss, warum dieser Eindruck entsteht: «Hier darf man keine Stoff- oder Plastikblumen auf die Gräber legen. Auch bei den Farben der Grabsteine gibt es strenge Auflagen, alles Bunte ist verboten.» Auch Fotos der Verstorbenen sind untersagt. Alles Dinge, die auf den italienisch-katholischen Friedhöfen Roms gang und gäbe sind.
Ziemlich italienisch aber ist die Musik, die jeweils aus Lautsprechern erklingt, kurz bevor der Friedhof seine Tore schliesst. Die fast schon kitschigen Töne laden dazu ein, sich langsam zu verabschieden. Bald werden hier nur noch die Katzen streunen. Bis zum nächsten Morgen sind sie und die unkatholischen Toten unter sich.