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Die Russen und das Gesetz «Viele Prominente scheren sich kaum um die Verkehrsregeln»

Der in Russland sehr bekannte Schauspieler Michail Efremow ist in Moskau betrunken in ein anderes Auto gerast, dessen Fahrer starb. Efremow gilt als notorischer Strassenrowdy. Der Fall sage einiges aus über das Verhältnis von Russlands Elite zum geltenden Recht, sagt Korrespondent David Nauer.

SRF News: Der Fall Erfemow schlägt in Moskau hohe Wellen. Warum?

David Nauer: Michail Efremow ist hier ein äusserst bekannter Schauspieler, er ist ein Titan im Kino und im Theater. Efremow stammt aus einer berühmten Schauspieler-Familie und ist sehr reich. Er gehört zur Bohème und zur Elite des Landes. Viele Russinnen und Russen sagen jetzt, die Elite dürfe machen, was sie wolle und komme dabei erst noch ungestraft davon.

Efremow ist ein bekannter Kreml-Kritiker, deshalb ist der Unfall für kremlfreundliche Kommentatoren ein Beweis, wie verkommen die russischen Liberalen seien.

Wie sind die Reaktionen auf den Unfall?

Die Empörung ist gross, aber auch die Betroffenheit ob des Todes des am Unfall unschuldigen Autofahrers. Viele fordern jetzt Gerechtigkeit und dass Efremow hart bestraft wird. Das Ganze hat aber auch eine politische Komponente: Efremow ist ein bekannter Kreml-Kritiker, deshalb ist der Unfall für kremlfreundliche, konservative Kommentatoren ein Beweis, wie verkommen die russischen Liberalen seien. Entsprechend scharf sind die Reaktionen aus diesem Lager. Progressive Moskauer dagegen sind schockiert, weil sich quasi einer der Ihren so etwas hat zu Schulden kommen lassen.

In vielen Fällen wird die russische Elite mit Samthandschuhen angefasst.

Darf sich die Elite in Russland tatsächlich alles erlauben?

Es gibt in der Tat viele Fälle, in denen die Elite mit Samthandschuhen angefasst wird – vor allem im Strassenverkehr. Dort scheren sich viele Politiker oder Leute aus dem Sicherheitsapparat kaum um die Verkehrsregeln. Auch ist bekannt, dass sich Vermögende bei Polizisten freikaufen können. In manchen Fällen werden allerdings auch prominente Verkehrsrowdys strafrechtlich verfolgt. Insgesamt zeigt sich ein durchmischtes Bild.

Symbolbild: Ambulanz im Moskauer Strassenverkehr.
Legende: Russlands Strassenverkehrsgesetz gilt offenbar nicht für alle Russen in gleichem Ausmass. imago images

Wie geht es konkret im Fall Efremow jetzt weiter?

Er befindet sich unter Hausarrest, es wurde Anklage gegen ihn erhoben. Efremow drohen bis zu zwölf Jahre Gefängnis. Auch im liberalen Moskau gibt es jetzt Leute, die es gut finden, wenn Efremow bestraft wird. Schliesslich war er zum Unfallzeitpunkt schwer betrunken. Sie befürchten aber auch ein besonders hartes Vorgehen der Justiz, weil der Schauspieler ein erklärter Putin-Gegner ist.

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Ist die Moskauer Elite nicht eher Putin-freundlich eingestellt?

Grundsätzlich schon. Doch vor allem in der Kulturszene gibt es viele Liberale. Efremow ist dabei nochmals ein Sonderfall. Er ist so berühmt und so gut vernetzt, dass er sich alles leisten kann. So veröffentlichte er während des Lockdowns Videos, in denen er allein in einer Bar politische Gedichte rezitierte – das war politische Kunst auf höchstem Niveau. Er ist ein grosser und mutiger Künstler – hat jetzt aber einen schrecklichen Fehler gemacht.

Efremow ist ein grosser und mutiger Künstler – hat jetzt aber einen schrecklichen Fehler gemacht.

Was sagt der Unfall Efremows über Russland und sein Verhältnis zur politischen Elite aus?

Es sind zwei Dinge: Einerseits gibt es das Problem tatsächlich, dass die Elite über dem Gesetz steht und sich etwa im Strassenverkehr verhält wie Efremow. Die öffentliche Empörung zeigt aber auch, dass sich langsam etwas ändert. So hat die Polizei rasch reagiert, Efremow unter Hausarrest gestellt und ein Verfahren eröffnet. Auch die russische Politik regt sich: So soll es für Alkoholkranke gesetzlich verboten werden, selber am Steuer zu sitzen. Das ist angesichts des tragischen Ereignisses immerhin eine mutmachende Entwicklung.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

SRF 4 News aktuell vom 10.6.2020, 09.15 Uhr ; 

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