Seit 150 Jahren wird der Blutdruck auf die gleiche Art gemessen: Mit einer Manschette baut man Druck am Oberarm auf, mit dem Stethoskop beobachtet man die Geräusche, die das Blut in der Arterie verursacht.
In diesen Tagen kommen die ersten digitalen Geräte auf den Markt, die die Blutdruckmessung revolutionieren. Ganz vorne mit dabei sind auch zwei Schweizer Startups aus Neuchâtel und Lausanne mit einem Armband (Aktiia) und einer App (Biospectal). Aber auch grosse Unternehmen mischen im Geschäft mit: So kann man auch mit der neuen Smartwatch von Samsung den Blutdruck messen.
Blutige Aufnahmen
Die neuen Geräte funktionieren auf die gleiche Weise: Statt akustische Signale werten sie optische aus. Eine kleine Kamera filmt die Blutströmung in der Arterie und übergibt die Daten einem Algorithmus, der von den Bildern auf den Blutdruck schliesst.
Wie das Verfahren entwickelt wurde, erzählt Patrick Schoettker vom Startup Biospectal und Professor für Anästhesie am Uni-Spital Lausanne: «Wir haben den Algorithmus im Operationssaal trainiert.» Die Wissenschaftler ermittelten den Blutdruck mit einem Katheter in der Arterie und einer Kamera am Finger, welche die Blutströmung filmte. Anhand dieser Daten lernte die Software, wie man von den Bildern auf den Blutdruck schliessen kann.
Genaue Messung
Die optische Blutdruckmessung funktioniert so präzise, dass das Armband der Firma Aktiia in England die Zulassung als medizinisches Gerät erhalten hat. Das Gerät misst rund um die Uhr, ohne dass der Träger etwas davon merkt. So kommt man Medikamenten auf die Spur, die den Blutdruck beeinflussen oder findet heraus, dass man nachts einen zu hohen Blutdruck hat.
Die App des Startups Biospectal kommt ohne zusätzliche Sensoren aus und nutzt stattdessen das Smartphone: Einfach den Finger auf die Handy-Kamera halten und schon zeigt das Gerät nach etwa 20 Sekunden den Blutdruck an. Um die Kosten für die Kunden möglichst tief zu halten, hat man darauf geachtet, dass die Messung auch auf älteren, leistungsschwachen Smartphones funktioniert.
Biospectal konnte in verschiedenen Studien nachweisen, dass die Messung zuverlässig funktioniere, sagt Patrick Schoettker. So will Biospectal einen Beitrag leisten, dass auch Menschen in ärmeren Ländern ihren Blutdruck messen können und so rechtzeitig gewarnt werden.
Zwei Startups – ein Innovator
Die beiden Firmen aus der Westschweiz haben gemeinsame Wurzeln. Entwickelt wurde das Know-how für die optische Blutdruckmessung während mehr als einem Jahrzehnt am Centre Suisse d'Electronic et Mécanique (CSEM) in Neuchâtel , einem nicht gewinnorientierten Forschungsunternehmen.
Bei der optischen Analyse von Blut gehört das CSEM seit Jahrzehnten zur Weltspitze. Bereits 2001 patentierte das Unternehmen den ersten optischen Pulsmesser. Heute tragen hunderte Millionen Menschen auf der ganzen Welt diese Technologie am Handgelenk mit sich – in einer Smartwatch von Apple oder Samsung etwa.
Das CSEM forscht auch auf anderen Gebieten. Die Wissenschaftlerinnen haben zum Beispiel eine Kamerasteuerung für den europäischen Roboter entwickelt, der zum Mars fliegen wird. Die Technologie des Zentrums ist also nicht nur weltweit an den Handgelenken präsent, sie setzt auch zum Sprung in den Weltraum an.
Bloss in den Köpfen der Deutschschweizer ist das CSEM kaum präsent. Es scheint, dass der Röstigraben die grössere Hürde darstellt als die Stratosphäre.