Genau zwei Hauptproben haben die knapp 40 Schauspieler der Dimitri-Schule unter Regisseur Livio Andreina. Dann müssen die Szenen am und im Zug sitzen. Der Grund ist einfach: Da die Crew den «Theaterzug» für sich und die Zuschauer exklusiv beansprucht, muss dieser während fast drei Stunden ein eigenes Gleis haben. Der reguläre Zugsverkehr der Centovalli-Bahn muss gleichzeitig weiter funktionieren. Monatelanges Proben ist unter diesen Umständen unmöglich. Die letzten Monate hat man stets ohne Zug geprobt.
Eine Reise durch die Heimat
Die Idee, ein Theater im Zug zu spielen, setzte die Schauspielerin und Theater-Regisseurin Masha Dimitri bereits vor einigen Jahren zum ersten Mal um. Sie und ihr Vater – der inzwischen verstorbene Schweizer Clown Dimitri – hätten bereits früher über die Möglichkeiten sinniert, ein ganzes Stück entlang der Centovalli-Zugstrecke zu spielen. Also genau da, wo die Dimitri-Familie ihre Heimat hat. Nun hat Masha Dimitri zusammen mit vielen Laienschauspielerinnen, Kindern und einem ausgewachsenen Orchester erneut die Zugsidee aufgenommen.
Das Theater spielt jedoch nicht nur im Zug, sondern auch an den verschiedenen Bahnhöfen im Centovalli-Tal. Die rund 130 Zuschauer steigen dabei jeweils aus und verfolgen das Stück am Bahnhof weiter. Bereits bei den Proben am Startbahnhof Verscio wird deutlich: Da kann einiges nicht so laufen wie geplant. Das bestätigt auch Regisseur Livio Andreina. «Den Fahrplan müssen wir genau durchdenken. Manchmal müssen wir einen Gegenzug abwarten, dann kommt es zu Verzögerungen.»
Gerade für das Orchester ist der Fahrplan eine grosse Herausforderung. Schliesslich müssen die Musiker jeweils vor dem Zug wieder am nächsten Bahnhof sein, um die Einfahrt musikalisch zu begleiten. Daher sind gleich mehrere sogenannte «Backstage-Autos» im Einsatz, die Musikinstrumente und Protagonisten von Bahnhof zu Bahnhof fahren und dabei schneller sein müssen als der Zug.
Zwei Welten prallen aufeinander
Für die Betreiber der Centovalli-Bahn ist das Theaterstück Ehre und Herausforderung zugleich. «Wir fühlen unds geehrt, Teil dieser Bühne zu sein, müssen aber jederzeit die Sicherheit des normalen Bahnverkehrs gewährleisten», sagt Katja Beretta, Marketingmitarbeiterin bei der Centovalli-Bahn. «Wir haben mehr Personal im Einsatz und Leute, die auch mal länger arbeiten, damit alles reibungslos abläuft». Auch Regisseur Livio Andreina bestätigt: «Hier treffen zwei Welten aufeinander».
Auch wenn die Planung eine Herausforderung ist, bleibt das Theaterstück für Dimitri-Tochter Masha eine Herzensangelegenheit. «Es ist nicht alltäglich, die Leute haben echt Freude an diesem Abenteuer. Ich hatte aber auch ein paar schlaflose Nächte», so Masha Dimitri.Nach gut drei Stunden endet das Theater am Bahnhof Camedo. Den Theaterbesuchern bleibt dann nicht nur eine spektakuläre Reise durch das Centovalli-Tal, sondern auch eine Zugsreise, die sie so schnell nicht vergessen werden.