Die Geschichte des Dopings bei der Tour de France ist so alt wie die Rundfahrt selbst. Ob «l’elixir de vitesse» oder «Vélo Guignolet»: Fahrrad-Kirschlikör auf der Basis Kokain und Morphium – wenn er die müden Beine munter macht, pourquoi pas?
Spätestens als vor 50 Jahren der Brite Tom Simpson am Mont Ventoux tot vom Rad stürzte, vollgepumpt mit Amphetaminen und Alkohol, war klar: So kann es nicht weitergehen.
Doch seit der Radsport-Weltverband UCI 1966 erste Doping-Regeln aufstellte und unangekündigte Kontrollen anstiess, hinken die Messmöglichkeiten den neuesten Dopingmitteln einen Schritt hinterher.
Denn die Methoden werden immer perfider und ausgefuchster – den Fortschritten der Medizin sei Dank. Radprofis bedienen sich bei Medikamenten für Nierenkranke, Asthmatiker oder Herzinfarktpatienten – und manchmal sogar an Wirkstoffen, die noch nicht einmal für Patienten zugelassen sind. Eine Auswahl:
- Wachstums- und andere Hormone: Für Krebskranke – und ausdauerndere Radfahrer
EPO ist das skandalumwittertste Dopingmittel der Neuzeit – der aufgespürte EPO-Grossvorrat im Rennstall von Festina, gedopte Toursieger wie Marco Pantani, Jan Ullrich oder Lance Armstrong, sie alle haben dem synthetischen Erythropoetin einen negativen Beigeschmack verpasst. Medizinisch betrachtet jedoch ist EPO ein absoluter Glücksfall. Üblicherweise wird es in der Niere selbst produziert. Das Eiweisshormon erhöht die Anzahl der roten Blutkörperchen und ermöglicht so Patienten mit Blutarmut und Nierenleiden, aber auch Krebspatienten nach einer Chemotherapie ein normaleres Leben.
Für die Radprofis heisst das: Je mehr rote Blutkörperchen, desto mehr Sauerstoff kann das Blut transportieren, desto besser das Durchhaltevermögen. Das Unterfangen ist riskant: Wird das Blut zu dick, kann es zu Herzinfarkt und Schlaganfällen kommen. EPO kann mittlerweile nachgewiesen werden, an Nachfolgern mangelt es jedoch nicht. Auf unterschiedlichen Wegen führen sie alle zum gleichen Ziel: Sie erhöhen die Sauerstofftransportfähigkeit des Blutes.
Auch mit Schilddrüsenhormen haben Radprofis schon experimentiert. Thyroxin, das Patienten mit Schilddrüsen-Unterfunktion erhalten, soll für mehr Leistungsfähigkeit und Trainingshärte auch von Sportlern schon geschluckt worden sein.
- Stimulanzien: Was hyperaktive Kinder ruhig stellt, pusht Sportler
Früher beliebt gegen Asthma oder als Appetitzügler, sind Amphetamine in der Medizin heute wegen ihres hohen Suchtpotenzials gefürchtet. Lediglich gegen Narkolepsie und gegen die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sind Wirkstoffe dieser Gruppe noch im Einsatz. «Le cousin Riri» nennen Radsportler das ADHS-Medikament Ritalin fast liebevoll, die Arznei Lidepran mit ähnlichem Wirkspektrum heisst «la petite Lili». Während diese Wirkstoffgruppe Hyperaktiven mehr Ruhe gibt, hat sie bei Sportlern genau den umgekehrten Effekt: Sie werden aufgeputscht.
Neu ist der Trend nicht: Ephedrin beispielsweise, das heute in Meth-Küchen zur Herstellung von Crystal Meth genutzt wird, war ehedem in Asthmamitteln und abschwellenden Nasensprays enthalten, aber auch zur Blutdrucksteigerung und als Appetitzügler gern gesehen – oder Dopingmittel. Allerdings: Einen tatsächlichen Leistungsgewinn konnten Studien bislang nicht nachweisen.
- Clenbuterol & Konsorten: Mehr Luft für Asthmatiker – längerer Atem für Radprofis
Bei einem akuten Asthmaanfall verengen sich die Bronchien, Asthmatiker bekommen schlechter Luft. Asthmamedikamente weiten die Atemwege wieder. Diesen Effekt nutzen auch Sportler. Insbesondere der Wirkstoff Clenbuterol geriet in den letzten Jahren in den Fokus. Er soll auch den Stoffwechsel und Muskelaufbau positiv beeinflussen und die Fettverbrennung anregen. Dem dreimaligen Toursieger Alberto Contador beispielsweise wurde wegen Clenbuterol der Toursieg 2010 aberkannt und eine zweijährige Sperre verhängt. Er selbst führte die positive Dopingprobe auf verunreinigtes Kalbfleisch zurück, denn der inzwischen in der EU verbotene Stoff kommt auch in der Kälberzucht zum Einsatz.
- Herz-Kreislauf-Medikamente: Weite Gefässe für Herzkranke – weitere Wege für Radprofis
Herzchirurgen schätzen den Wirkstoff Papaverin, weil er bei Bypass-Operationen das Zusammenziehen der Blutgefässe verhindert. Mit dem gleichen Wirkprinzip kommt Papaverin auch Männern mit Potenzstörungen zugute. Die durchblutungsfördernden Effekte nehmen auch Radsportler zur Leistungssteigerung gerne in Anspruch.
- Testosteron: Männerhormon – oder «Doping der Deppen»
Einen 27-fach erhöhten Testosteronwert wies man 2007 beim T-Mobile-Profi Patrik Sinkewitz nach. Was eigentlich zur Behandlung von Männern mit Hodenunterfunktion dient, nutzt Radrennfahrern, weil es die Regeneration der Muskeln beschleunigt, den Muskelaufbau fördert und die Blutbildung anregt – und Sportlern ein Stück Extra-Aggressivität beschert. Es ist aber so gut nachweisbar, dass es auch als «Doping der Deppen» umschrieben wird.
- Diuretika: Entwässerung – oder Verschleierung von Dopingsubstanzen
In den 1980er- und 90er-Jahren waren Entwässerungsmittel im Radsport häufig, um illegale Dopingsubstanzen aus dem Körper zu spülen. Üblicherweise werden sie bei Gicht, Ödemen oder hohem Blutdruck verschrieben. Heute sind allerdings die Diuretika im Labor besser nachweisbar als die zu verschleiernden Dopingmittel, deshalb kommen sie kaum mehr zum Einsatz.
- Narkotika & Analgetika: Schmerzgefühle ausschalten bei der Tour der Leiden
Betäubungs- und Schmerzmittel beseitigen Schmerzen. Nur dank ihnen schaffen es schwer lädierte Radprofis wieder aufs Velo. Morphium, Opium und Heroin wurden bereits vor über 100 Jahren eingesetzt – sind heute aber natürlich verboten. Tramadol wird heute im Radsport so exzessiv eingesetzt, dass es auf der Monitoring-Liste steht.
Auch Cortison fällt unter diese Rubrik und ist ein wahrer Alleskönner: Es hilft gegen Belastungsasthma, wirkt aber auch entzündungshemmend und setzt die Schmerzgrenze herauf.