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Erfolgreiche Gentherapien Das Revival einer umstrittenen Therapie

Vor knapp 20 Jahren machten Gentherapien vor allem negative Schlagzeilen. In letzter Zeit aber häufen sich Erfolgsmeldungen zu neuen Gentherapien. Erst kürzlich ist es deutschen Forschern gelungen, einen Jungen mit der Schmetterlingskrankheit zu heilen. Es ist eine furchtbare Krankheit, durch die sich die Haut der Kinder buchstäblich auflöst.

Schmetterlingskind mit eingebundenen Füssen und vielen roten Flecken auf der Haut.
Legende: Ihre Haut ist verletzlich wie ein Schmetterlingsflügel: Kinder mit Epidermolysis bullosa. ZVG

Janine Reichenbach, Immunologin am Kinderspital der Universität Zürich, steckt ihre Energie in die Entwicklung neuer Gentherapien. Sie behandelt Kinder, deren Immunsystem von Geburt an nicht richtig funktioniert.

Strapaziöse Stammzellentransplantation

«Es gibt eine grosse Bandbreite an Erkrankungen: Von solchen, die dazu führen, dass man immer wieder Infekte hat, bis hin zu wirklich sehr schweren Erkrankungen, an denen Kinder im ersten Lebensjahr sterben, wenn sie keine definitive Therapie erhalten.» Häufig liegt bei diesen Kindern der Defekt in den Genen.

Die Therapie der Wahl bei schweren Immundefekten ist heute eine Stammzelltransplantation. Doch die ist strapaziös für die jungen Patienten. Blutstammzellen von einem fremden Spender werden den Patienten übertragen und ersetzen die kranken.

Bittere Fehlschläge in den ersten Jahren

Gentherapie funktioniert laut Reichenbach ähnlich wie eine Stammzellentransplantation, «nur dass man die Stammzellen nicht einem gesunden Spender entnimmt, sondern dem Patienten selber.» Die Zellen würden ausserhalb des Körpers mit einem Gentherapiesystem behandelt, sodass dem Patienten dann gesunde Knochenmark-Stammzellen zurückgegeben werden könnten.

Erstmals wurde das im Jahr 2000 in Paris bei sehr jungen Patienten gemacht, die unter einem schweren Immundefekt litten. Vor rund zehn Jahren führte man es auch in Zürich zum ersten Mal durch. Doch in Paris, Zürich und an vielen anderen Gentherapie-Studienstandorten auf der ganzen Welt kam es zu schweren Komplikationen. Viele der jungen Patienten entwickelten Leukämien.

Wie funktioniert die Gentherapie?

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Viren, die uns im Alltag krank machen, sind so etwas wie natürlich Gen-Fähren. Sie schleusen genetische Information in Zellen ein und programmieren sie so um.

«Diesen Trick macht sich die Gentherapie zunutze», sagt Reichenbach. Die Forscher nehmen den Viren ihre krankmachenden Gene weg und geben ihnen stattdessen ein Gen mit, das bei den Patienten defekt ist. Die Viren infizieren dann die Blutstammzellen des Patienten, und das gesunde Gen wird in die Zellen aufgenommen.

Dabei können aber Gene aktiviert werden, die das Zellwachstum aus dem Ruder laufen lassen und so Leukämien auslösen. Nach den bitteren Fehlschlägen der ersten Jahre sind die Forscher ins Labor zurückgekehrt und haben versucht, aus den Fehlern zu lernen. Mit Erfolg.

Aus Fehlern gelernt

Die heutigen Gentherapien sind sicherer als jene der ersten Generation. Dennoch gilt: Gentherapie ist momentan lebensbedrohlich erkrankten Patienten vorbehalten, wie Reichenbach sagt. «Das ist auch gut so, weil es nach wie vor eine Therapie ist, die trotz aller Erfolge noch in den Kinderschuhen steckt. Man kann nicht alle Risiken vorhersehen und bei den behördlich geforderten Tierversuchen abbilden.»

Auch Reichenbach bereitet mit Kollegen zurzeit eine Studie vor, bei der sie in Zürich wieder junge Patienten mit schweren Immundefekten behandeln wollen. 2019 soll es losgehen.

Fragen an Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel

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SRF News: Jetzt scheint plötzlich möglich, was vor zehn Jahren noch so schwierig war. Woran liegt das?

Katrin Zöfel: Die Methoden sind einfach besser geworden. Die Leukämien entstanden, weil das Erbgut auch dort verändert wurde, wo es eigentlich gesund war. Inzwischen wissen die Forscher genauer, wie sie das verhindern können. Ausserdem können sie dafür sorgen, dass die eingeschleusten Gene nur dort aktiviert werden, wo sie auch gebraucht werden. Das senkt die Risiken. Bei den Gentherapien der zweiten Generation hat man jetzt Erfahrungswerte von fünf bis sechs Jahren – und die sehen bisher gut aus. Es sind keine Leukämien mehr entstanden.

Weltweit laufen zurzeit 500 Studien mit Gentherapien. Für welche Krankheiten?

Es geht um sehr viele verschiedene Krankheiten, nicht nur um Immundefekte wie in Zürich. Es geht auch um Hautkrankheiten, verschiedene Formen von Sehschwäche oder Farbenblindheit, ausserdem um Stoffwechselkrankheiten und um die Bluterkrankheit.

Wie sieht es mit gefürchteten Krankheiten wie beispielsweise Krebs aus?

Für eine klassische Gentherapie muss man wissen, wo die kranken Zellen sind, und was an ihnen genau defekt ist. Das funktioniert nur, wenn der Gendefekt möglichst simpel und gut verstanden wird. Das ist bei Krebs nicht so einfach, denn jeder Tumor ist anders. Es gibt aber Versuche, Leukämien mit sogenannten CAR-T-Zellen zu bekämpfen. Das ist – wenn man so will – auch eine Art Gentherapie.

Es geht im Moment also eher um seltenere Krankheiten. Das scheint finanziell nicht besonders attraktiv. Wieso investieren trotzdem viele Firmen in diesen neuen Ansatz?

Ganz einfach: Für diese Therapien kann man sehr viel Geld verlangen. Es ist mit das innovativste, was Pharmafirmen heute machen können. In den USA etwa ist gerade eine neue Gentherapie für eine bestimmte Augenkrankheit auf den Markt gekommen. Sie kostet pro Patient 500'000 Dollar, und das wird als günstig angepriesen. Novartis hat sich übrigens die Rechte für diese Therapie für den Markt ausserhalb der USA gesichert.

Wie rechtfertigen die Firmen solche Preise?

Sie schlagen ein Konzept vor, das sie «pay for performance» nennen. Es muss also nur bezahlt werden, wenn die Therapie auch wirklich hilft. Trotzdem bleibt es sehr teuer. Es fragt sich, ob ein Gesundheitssystem sich das leisten kann und will.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

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