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Exit früher als gewollt «Kann ich erst am Freitag sterben?»

Demenzkranke müssen bei einem Suizid mit Exit urteilsfähig sein. Deshalb scheiden viele zu früh aus dem Leben.

Ihr Todestag steht schon einen Monat vorher fest, es ist Donnerstag, der 14. Dezember. Doris Meier aus Neunkirch (SH) ist dement. Sie will nicht in ein Pflegeheim und hat Angst davor, bald niemanden mehr zu erkennen und nur noch dahinzuvegetieren.

Doris Meier.
Legende: «Donnerstag ist schlecht», sagt Frau Meier. SRF

Die «Rundschau» besucht Doris Meier kurz vor ihrem geplanten Suizid. «An welchem Wochentag werde ich sterben?», fragt sie ihre Enkelin Anja Bart. «An einem Donnerstag», antwortet diese. «Donnerstag ist schlecht», wehrt sich Frau Meier. «Da gehe ich immer mit dem Hund der Nachbarn spazieren, und am Nachmittag singe ich im Chor. Könnte ich nicht am Freitag sterben?»

Genau gleich erging es Gertrud Arnaboldi, gestorben mit Hilfe von Exit am 31. Oktober letzten Jahres. «Sie hätte gern ihren 87. Geburtstag im kommenden Februar noch gefeiert», sagt ihr Sohn Max Arnaboldi, ein Arzt aus Winterthur. «Doch die Exit-Sterbebegleiterin sagte ganz klar, Frau Arnaboldi, das ist zu spät. Wir waren überrascht und schockiert.»

Getrud Arnaboldi hatte ein Arztzeugnis, das ihr beginnende Demenz bestätigte und gleichzeitig festhielt, dass sie noch urteilsfähig ist. Dieses Gutachten war nur einen Monat bis zum 31. Oktober gültig. Also starb die demente Dame zum spätesten möglichen Zeitpunkt, am 31. Oktober. Nachher hätte sie womöglich kein Attest mehr für den Freitod bekommen.

Man muss nicht leiden, um zu sterben

Wieso sollen Demenzkranke sterben dürfen? Gerade am Anfang ist es eine Krankheit, die keine Schmerzen bereitet, sondern mit Vergesslichkeit und Verwirrung zu tun hat. «Man muss nicht unter Schmerzen leiden, um sterben zu dürfen», verteidigt sich Marion Schafroth, Vizepräsidentin von Exit. «Der begleitete Freitod ist legal, wenn man weiss, dass man eine Krankheit mit schlechter Prognose hat.»

Raimund Klesse, Präsident der Alzheimer-Vereinigung Graubünden, widerspricht vehement. Als Psychiater begleitet er viele Menschen mit Demenz. «Wir haben eine falsche Vorstellung von Demenz», sagt er. «Viele werden relativ zufrieden alt. Leiden müssen eher die Angehörigen als die Betroffenen selbst.» Ein Suizid sei ein Hilferuf. «Man sollte dem Kranken helfen, anstatt ihm ein Rezept für den Suizid ausstellen.»

Es gibt nie den richtigen Zeitpunkt

Max Arnaboldi sagt, seine Mutter sei friedlich mit Hilfe von Exit eingeschlafen. Der frühe Todeszeitpunkt sei bald kein Thema mehr gewesen. «Unsere Sterbebegleiterin hat gesagt, für Demenzkranke, die sterben wollen, gebe es nie den richtigen Zeitpunkt. Es sei immer zu früh.» Schuld sei der Druck mit dem Arztzeugnis, das die Urteilsfähigkeit bescheinigen muss.

Beide Frauen sind in der Zwischenzeit gestorben. Ihre Angehörigen sind erleichtert. Die Aussicht, vor sich hinzudämmern und rund um die Uhr Pflege zu brauchen, war für beide Seiten unerträglich.

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