«Denn, um es endlich mal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt!» Diese Verteidigungsrede schmetterte kein Teenager seiner mäkelnden Mutter entgegen. Nur um kurzerhand die Zimmertüre zuzuknallen. Und weiter der zeitaufwändigsten Nebensache der Welt zu frönen – dem Spielen.
Die Worte stammen aus der Feder eines der bedeutendsten Literaten deutscher Zunge: Friedrich Schiller. Unterstützt wird er vom Philosophen Immanuel Kant, der neben ernster Aufklärungsarbeit auch dem Kartenspiel zugetan war: «Alles, was dem Schönen, der Kunst überhaupt zuzurechnen ist, entsteht aus dem freien Spiel der Vorstellungskräfte». Wer nicht spiele, so Kant, müsse damit rechnen, dass seine Lebenskräfte ermatten.
[...] der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt!
Der Spieler – viel gehasst und weit verbreitet
Schiller und Kant beschäftigte, wie auch spätere «Spieltheoretiker» wie Sigmund Freud, den Vater der Psychoanalyse, eine Frage: Warum spielt der Mensch? Denn auf den ersten Blick scheint Homo ludens ein evolutionärer Fauxpas zu sein. Eine Laune der Natur, hineingeboren in eine lebensfeindliche Welt.
Doch er ist zäh: Selbst in einem Biotop voller kühl kalkulierender Kosten-Nutzen-Maximierer behauptet er sich. Schleicht sich ein in Bürokomplexe. Übernimmt kurzerhand Kontrolle über grau melierte Entscheidungsträger. Erweitert den Webbrowser um ein Fenster, das niemand braucht.
Kurz: Der spielende Mensch befindet sich in einem fortwährenden Stellungskrieg mit dem arbeitenden Menschen. Und so manche Schlacht entscheidet er für sich.
Zwei Herzen wohnen, ach! in meiner Brust
Hier der Tagträumer, versunken in eine «Beschäftigung, die für sich selbst angenehm ist» – wieder Kant. Dort der Macher, der, wie es die Zürcher Philosophin und Kulturhistorikerin Ursula Pia Jauch formuliert, dem «vermeintlichen Ernst des Lebens seinen verdriesslichen Tribut zollt.»
Und doch sind beide eins, ist sich die Forschung einig: Denn der Spieltrieb gehört zur menschlichen Grundausstattung. Erschliesst sich der Nutzen des Werktätigen recht schnell, liegt er beim Spieler verborgener.
Alles, was dem Schönen, der Kunst überhaupt zuzurechnen ist, entsteht aus dem freien Spiel der Vorstellungskräfte.
Der Mensch als «ewiges Kind»
Der Psychoanalytiker Peter Schneider verrichtet in seinem Essay über «Spiel und Trieb» gedankliche Grabungsarbeiten am Homo ludens. Zunächst bereite der Spieltrieb, biologisch betrachtet, «das junge Tier auf den Ernst des späteren Lebens vor». Es erschliesst auf spielerische Weise seine komplexe Umwelt – «eine aus evolutionärer Perspektive […] überaus zweckmässige Anpassungsleistung.»
Im Unterschied zu den meisten Tieren erhalte sich der Spieltrieb aber beim Menschen bis ins Erwachsenenalter – die «Dauerspielleidenschaft» macht ihn gewissermassen zum «ewigen Kind». Spielen übersteigt den angedachten biologischen Zweck – und wird zur Kultur erhoben. Ein evolutionärer Sprung.
«Erst das Spiel macht das Leben zum Kunstwerk»
Und wird zusätzlich kultiviert: Das «ewige Kind» entwickelt gerade dann ausgeprägte Lust am Spiel, wenn das Regelwerk besondere Hürden bereithält. «Man darf nur so viele Felder vorrücken, wie man Punkte gewürfelt hat; man darf die Trumpfkarte nicht mitten im Spiel ändern […]. Je komplizierter die Hemmung, desto grösser die Lust», so Schneider.
Ein Konzept, das so gar nicht in unseren modernen Alltag passen will, in dem jede Ampel, jede behördliche Einmischung, ein himmelschreiendes Ärgernis ist. Vielleicht ist es gerade dieses angenehm Unangenehme des Spiels, das es so lebendig hält. Oder, wie es Ursula Pia Jauch ausdrückt: «Erst das Spiel macht das Leben zum Kunstwerk.»