Vor vier Jahren musste Philippe Montandon seine Fussballkarriere beenden. Unfreiwillig. Als 32-Jähriger hätte der Captain des FC St. Gallen noch einige gute Jahre vor sich gehabt, gerade als Innenverteidiger. Doch die achte Gehirnerschütterung war die eine zu viel.
Im Spiel gegen den FC Aarau prallte Montandon mit einem Mitspieler zusammen. Es war die dritte Gehirnerschütterung in knapp über einem Jahr. Er habe sich Zeit gelassen, um zu schauen wie sein Körper reagiert: «Ich hatte lange Zeit Schwindelgefühle und anhaltendes Unwohlsein. Es war dann klar, dass ich meine Karriere beenden musste.»
Philippe Montandon ist ein Extrembeispiel. Und doch: In jedem 20. Spiel erleidet ein Fussballer eine Gehirnerschütterung. Die Köpfe der Spieler sind doppelt gefährdet. Einerseits durch Zusammenstösse mit dem Gegner, andererseits durch die vielen Kopfbälle.
Alarmierende Studie
In einer norwegischen Studie wiesen über 80 Prozent der Fussballer nach der Karriere milde bis schwere Defizite auf: bezüglich Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis. Die Langzeitschäden sind noch nicht abschliessend erforscht. Möglicherweise könnte auch ein frühes Auftreten von Demenz mit diesen Kopfverletzungen zusammenhängen.
Trotz dieser Erkenntnisse ist das Bewusstsein über die damit verbundenen Gefahren noch immer zu klein, warnt der ehemalige Chefmediziner der Fifa, Jirí Dvorák: «Man macht nicht genug.»
Neurologe fordert Nulltoleranz
Der Neurologe hat sich in seiner Zeit beim Fussballweltverband für zwei Massnahmen stark gemacht: Einerseits, dass Ellbogenschläge gegen den Kopf direkt mit einem Platzverweis bestraft werden. Andererseits, dass das Spiel während drei Minuten für eine ärztliche Untersuchung unterbrochen wird, wenn ein Spieler am Kopf getroffen wird.
Die Gefahr dürfe nicht unterschätzt werden, sagt Dvorák. Er fordert: Beim geringsten Verdacht auf eine Gehirnerschütterung darf ein Spieler nicht mehr aufs Feld. Nur: Diese Drei-Minuten-Regel wird kaum umgesetzt. Die Spieler wollen oft gar nicht vom Feld.
Unterschätzte Gefahr auch bei Amateuren
Das Problem der Kopfverletzungen stellt sich nicht nur im Spitzenfussball. Auch der Breitensport und der Junioren-Fussball sind betroffen. Theo Widmer ist Leiter der technischen Abteilung vom Fussballverband der Region Zürich. Er räumt ein: Es wird relativ wenig getan: «Das Thema wird nicht prioritär behandelt.»
Immerhin weist der Verband in der Trainerausbildung darauf hin, dass bei Junioren auf ein gezieltes Kopfballtraining verzichtet werden soll. Doch damit hat es sich. Allzu viele Möglichkeiten gibt es auch nicht. Eine Helmpflicht steht nicht zur Diskussion, der Nutzen ist ohnehin umstritten.
Besorgt wegen möglichen Langzeitschäden
Montandon hat seine achte Gehirnerschütterung erlitten, obschon er einen Helm getragen hat. Vier Jahre nach dem Ende seiner Karriere geht es ihm mehr oder weniger gut. Manchmal leidet er allerdings unter Kopfschmerzen. Und sorgt sich über mögliche Langzeitschäden: «Man hört Geschichten aus dem US-Football, bei denen ehemalige Spieler unter Depressionen leiden und sich sogar das Leben genommen haben», so der Ex-Fussballer.
Das stimme einen nachdenklich, sagt Montandon. Unweigerlich werde die eigene Situation mit derjenigen der Sportler in den USA verglichen: «War es bei ihnen schlimmer, in einem anderen Stadium, kann es auch mich treffen? In Phasen, in denen die Kopfschmerzen stärker sind, mache man sich über solche Dinge Gedanken», sagt der Ex-Profi.
Die Verbände könnten die Fussballer noch besser für das Thema Kopfverletzungen sensibilisieren. Für die noch aktiven Fussballer gilt: Das Umdenken muss letztlich bei ihnen stattfinden. Im Kopf.