«Die Hölle, das sind die anderen», schrieb der französische Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Sartre in seinem Drama «Geschlossene Gesellschaft». Das bedrückende Setting: Drei Menschen finden sich nach ihrem Tod eingeschlossen in einem kleinen Raum. Nach und nach entreissen sie sich ihre Lebenslügen; auf alle Zeiten sind sie dazu verdammt, ihre Schicksalsgenossen zu ertragen.
Eine «Geschlossene Gesellschaft» hat auch die Nasa eingerichtet: auf 2500 Metern Höhe, auf halbem Weg zum höchsten Vulkan Hawaiis. Die Umgebung ist karg, fast lebensfeindlich, und das soll sie auch sein. Denn die US-Raumfahrtbehörde will simulieren, wie sich dereinst eine Mars-Mission abspielen könnte.
Der Faktor Mensch
Als Zufluchtsstätte diente den sechs Forschern während der 365 laaaangen Tage eine zeltähnliche Kuppel, kaum grösser als eine Drei-Zimmer-Wohnung. Die «Probanden», vier Amerikaner und zwei Europäer, waren mit allerlei Herausforderungen konfrontiert: Ausseneinsätze im Raumanzug, Erkundung von Höhlen, Kartierung der Umgebung, Rationierung von Lebensmitteln, kleinere und grössere Reparaturarbeiten.
Das eigentliche Forschungsinteresse der Nasa war aber ein anderes. Das Mars- war zuallererst ein Menschenexperiment: Wie entwickelt sich die Dynamik der Gruppe? Werden die Forscher, in Anlehnung an Sartre, zu ihren eigenen Folterknechten? Ist eine mehrjährige Mars-Expedition «menschlich machbar»?
Denn an der Technik dürfte Mission nicht scheitern: Bis zum Jahr 2035 will die US-Raumfahrtbehörde einen Menschen auf den Mars schicken.
Kleine Macken, grosse Konflikte
Die deutsche Christiane Heinicke war die vollen 365 Tage auf der «Mars-Station». Die Hauptaufgabe der Geophysikerin war es, Wasser aus Gestein zu extrahieren. Über die Grenzerfahrung hat sie nun ein Buch geschrieben («Leben auf dem Mars»). «Die grösste Herausforderung für uns war zunächst die Isolation von anderen Menschen», sagt Heinicke rückblickend.
Ebenso «prägend» war aber, sagt sie mit einem Lächeln, «ständig den Macken der anderen ausgeliefert zu sein.» Die alltägliche Herausforderung im selbstgewählten Exil sei denn auch gewesen, sich von den Spannungen innerhalb der Gruppe nicht unterkriegen lassen.
«Einer der Kollegen hat etwa ständig seine Kaffeetasse rumstehen lassen», berichtet die Forscherin. Wenn man das am Arbeitsplatz erlebe, könne man darüber hinwegsehen, meint Heinicke, «aber wir waren sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag zusammen und konnten auch nicht mal eben raus an die frische Luft.»
Letzteres wäre auch nicht ratsam gewesen: Denn die Simulation war derart realistisch angelegt, dass dies den sicheren Tod – also den Abbruch der Mission – bedeutet hätte. Und bis der Raumanzug sitzt, dürfte die erste Wut bereits verflogen sein; zumal es zwei Helfer braucht, um den Anzug überzustreifen.
Ruhig Blut
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Heinickes Rezept gegen den Mars-Koller: Ein sachliches Gespräch unter Erwachsenen. «Dann ist der Kollege auch bereit, die Kaffeetasse das nächste Mal wegzuräumen.»
Die Frage bleibt: Welche Schlüsse kann die US-Raumfahrtbehörde aus dem Mars-Experiment ziehen? «Sie kann erfahren, wie eine Crew zusammengestellt werden sollte, damit sie untereinander funktioniert.»
Die Physikerin gibt ein plakatives Beispiel: «Wer Konflikte lieber mit der Faust als mit Worten löst», sei eher ungeeignet für die Mars-Mission. Stattdessen brauche es Kompromissbereitschaft und Anpassungsfähigkeit: «Trotzdem kann es natürlich sein, dass man sich gegenseitig nicht ‹riechen› kann.»
Es hat geknistert
Den Glauben an die Menschheit dürften die Nasa-Wissenschaftler nicht ganz verloren haben. Denn in der Raumstation bildete sich auch ein Liebespaar: Heinicke kam mit ihrem französischen Kollegen zusammen.
Doch auch diese Liaison barg Gefahren für die Gruppendynamik, berichtet die 30-Jährige: «Wenn sich ein Paar abkapselt oder es seine Konflikte nach aussen trägt, kann die Gruppe zerfallen.» Und sollte die Beziehung auseinanderbrechen, müsse die Mission trotzdem zu Ende geführt werden. Ausziehen wäre auf dem Roten Planeten auch nicht ratsam.
Die Beziehung hat die Rückkehr auf den Planet Erde jedoch nicht überlebt – aber Freunde seien sie geblieben, sagt Heinecke. Mit der Hälfte der Crew pflege sie jedoch nur professionellen Kontakt. Welcher Gruppe der Kollege mit dem Kaffeetasse angehört, erzählt Heinicke nicht.