«Im Durchschnitt stellen wir in neun von zehn Steuererklärungen kleinere oder grössere Fehler fest», sagt Jakob Rütsche. Er ist Präsident der schweizerischen Steuerkonferenz und steht damit den Leitern der kantonalen Steuerverwaltungen vor. Der oberste Steuerchef der Schweiz leitet zudem die kantonale Steuerverwaltung Thurgau. Er gewährt uns einen Blick hinter die Kulissen der Finanzverwaltung.
In 200 bis 300 Fällen pro Jahr leitet das Steueramt Thurgau ein Nachsteuer- und Steuerstrafverfahren ein. «In diesen Fällen sprechen wir von Steuerhinterziehung», so Jakob Rütsche. Das Strafmass beträgt je nach Vergehen zwischen 50 und 250 Prozent der geschuldeten Steuerschuld.
In immer mehr Kantonen kann die Steuererklärung elektronisch eingereicht werden. Trotzdem wollen die Steuerämter das Deckblatt noch immer separat per Post zugeschickt erhalten. «Wir brauchen die Steuererklärung in Papierform, weil sie eigenhändig unterschrieben sein muss. Zudem befinden sich auf dem Deckblatt digitale Informationen, welche das Scancenter benötigt», begründet Jakob Rütsche diesen bürokratischen Amtszwang.
Steuererklärungen werden digitalisiert …
Was geschieht mit der Steuererklärung, nachdem sie abgeschickt worden ist? ( Infografik ) Im Kanton Thurgau landet sie als erstes bei der Wohngemeinde. Hier werden die Steuererklärungen gesammelt und auf Vollständigkeit hin überprüft: Sind die Blätter unterschrieben, liegen alle Begleitdokumente bei?
Zweite Station: Die Gemeinden schicken die Steuererklärungen ins Scancenter Thurgau. Sechs Mitarbeiter scannen hier alle Steuererklärungen des Kantons ein: Jede einzelne der 170‘000 Thurgauer Steuererklärungen wird von Hand mit Einlageblättern versehen und digitalisiert. Der Datenschutz geniesst hier oberste Priorität: Das Scancenter funktioniert völlig autark, ist also weder per Internet noch per Funkverbindung mit der Aussenwelt verbunden. «Einen einzigen Computer verbinden wir einmal am Tag mit einer gesicherten Leitung mit dem Zentralcomputer der kantonalen Steuerverwaltung, um die digitalisierten Steuerdaten zu übermitteln», erklärt Tabea Reiser, Leiterin des Scancenters. Nach erfolgter Datenübermittlung wird auch diesem einen Computer wortwörtlich der Stecker gezogen.
… und danach verbrannt
Nach dem Scannen werden alle schriftlichen Steuererklärungen unter Aufsicht der Steuerverwaltung verbrannt. Die digitalisierten Daten bleiben für 15 Jahre in geschützten Rechnern der Thurgauer Kantonsverwaltung gespeichert. Diese Rechner vergleichen die neue digitalisierte Steuererklärung mit den Daten des Vorjahres und teilt sie automatisch in drei Kategorien ein:
- Grün sind richtig ausgefüllte Steuererklärungen, ohne grössere Abweichungen zum Vorjahr.
- Orange sind Steuererklärungen, die in einzelnen Punkten Auffälligkeiten aufzeigen.
- Zur Roten Kategorie gehören alle Steuererklärungen von Selbständigerwerbenden und Neuzuzügern. Zudem wird auch ein Drittel aller grünen Steuererklärungen alle paar Jahre zur Stichprobe rot markiert.
Das computerunterstützte Regelwerk mache die Arbeit der Steuerämter um einiges effizienter, betont Amtsleiter Jakob Rütsche: «60 Prozent sind orange Fälle. Dank des Regelwerks muss der Steuerkommissär nicht mehr alle Punkte in der Erklärung anschauen, sondern nur noch jene Punkte, die einen Regelverstoss aufweisen.» Doch verfügen noch nicht alle Kantone über dieses elektronische Hilfsmittel.
Die 45 Veranlagungsexperten im Kanton Thurgau prüfen die orangen und roten Fälle. Das sind bis zu 6000 Steuererklärungen pro Steuerkommissär und Jahr. Hat der Veranlagungsexperte Fragen, nimmt er mit dem Steuerpflichtigen Kontakt auf, um die Sache zu klären. Ist keine schnelle Klärung möglich, wird ein Termin zu einem persönlichen Treffen vereinbart. Nach erfolgter Prüfung erhält der Steuerpflichtige den Veranlagungsentscheid. Erhebt er binnen 30 Tagen keine Einsprache, erstellt das Gemeindesteueramt die Schlussrechnung.