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Invasive Pflanzen im Tessin «Es fühlt sich an wie im Dschungel»

Die Schweiz ist ein klassisches Einwanderungsland. Das gilt auch für gebietsfremde Pflanzen vom anderen Ende der Welt. Allerdings nicht zur Freude der Behörden. Dem invasiven Grün soll deshalb möglichst wieder der Garaus gemacht werden, heisst es in einem Strategiepapier des Bundes vom letzten Jahr.

Es fühlt sich an wie im Dschungel.
Autor: Roland David Leiter Abteilung Wald (TI)

Nicht so im Tessin. Dort hat man die reine Lehre verworfen. Zwar werden die sogenannten Neophyten weiterhin bekämpft, doch dort, wo sie die einheimischen Arten schon fast verdrängt haben, geht der Kanton nun neue Wege. Ein Augenschein:

Beispiel Waldkiwis: Statt Kastanien gibt es Tessiner Waldkiwis zu bestaunen. Und wer dachte, der Dschungel liege weit entfernt, der irrt. Sie wachsen ganz in der Nähe von Locarno. «Hier haben wir ein gutes Beispiel für einen Wald voller invasiver Pflanzen», sagt der oberste Tessiner Förster, Roland David.

Waldkiwis
Legende: Das Kastanienwäldchen musste aus Altersgründen weichen. Neu wachsen dort Waldkiwis. SRF

Beispiel Paulownia: Diese invasive Pflanze stammt ursprünglich aus Ostasien. Ihre Blätter sind riesig und auch Trockenheit kann ihr nichts anhaben. «Es hat uns überrascht, wie schnell sie wächst», sagt David.

Die grossen Blätter der Paulownia.
Legende: Trotz Trockenheit breitet sich die Pflanze rasant aus. SRF

Beispiel Sommerflieder: Der Sommerflieder ist ein Strauch der aus China oder Tibet stammt. Da der Sommerflieder in Flussauen oft grosse, dichte Bestände bildet, kann er dort die wertvolle auenspezifische Pflanzenwelt verdrängen, was sich negativ auf die Schmetterlingspopulation auswirkt.

Violett blühender Sommerflieder.
Legende: Der Sommerflieder ist zwar ungefährlich für Tier und Mensch, verdrängt allerdings einheimische Pflanzen. IKAI / WIKIPEDIA

Alle diese invasiven Arten sind im eigentlichen Sinn nicht eingewandert – sie wurden geholt. Es sind in der Regel Zierpflanzen, die seit Jahrzehnten problemlos in unseren Gärten wachsen. «Dann plötzlich, ich würde sagen vor ein paar Jahren sind sie überraschend schnell und mit Wucht aus den Gärten in unsere Wälder gewandert», stellt der oberste Tessiner Förster fest.

Für den Bergkanton Tessin sind die neuen Arten ein Problem. Der Wald erfüllt hier eine Schutzfunktion vor Erdrutschen, Steinschlag und Lawinen. Palmen bieten nicht den gleichen Schutz wie Kastanien. Deshalb kommen teure Schutzmassnahmen wie Netze und Befestigungen zum Zug. «Wir sprechen von bis zu 5000 Franken pro Meter für eine solche Anlage», sagt David weiter.

Auch die Alpennordseite beobachtet

Wegen der hohen Kosten wird die Lösung in der Natur gesucht. Der Kanton hat entschieden, die invasiven Arten nur noch dort zu bekämpfen, wo sie in der Minderheit sind. Wo sie bereits den Ton angeben, sollen einzelne bekämpft, andere aber gepflegt werden. Vielleicht könnten auch sie in Zukunft einen Schutzwald bilden.

Und weil das Tessin keine «Pflanzen-Insel» ist, ist auch das Bundesamt für Umwelt daran interessiert, Erfahrungen für die Alpennordseite zu sammeln. Ein gemeinsames Projekt hat bereits gezeigt: Einzelne Neophyten wachsen doppelt so schnell, wie einheimische Arten.

So zeigt sich: Die «Einwanderung» der invasiven Pflanzen ist nicht in jedem Fall schlecht. Die Förster versuchen nun mit den neuen Arten zu leben und – wo möglich – von ihnen zu profitieren.

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