Handgeschriebene Postkarten und Geburtstagswünsche sind bald schon Relikte der Vergangenheit. Mit dem Einzug der Digitalisierung haben SMS, WhatsApp-Nachrichten und E-Mails die Handschrift aus unserem Alltag verdrängt. Wie eine Umfrage in England zeigt, hat jede dritte Person seit einem halben Jahr keinen längeren Text als eine Einkaufsliste von Hand geschrieben.
Und in Deutschland sind viele Schüler gar nicht mehr in der Lage, von Hand leserlich zu schreiben. Laut einer Studie mit 2000 Lehrkräften hat die Hälfte aller Knaben und ein Drittel aller Mädchen signifikante Schreibprobleme.
Die Gedächtnisleistung ist besser, wenn das Kind auch den motorischen Ausdruck hat.
Wer schreibt, erinnert sich besser
Dabei ist das Schreiben von Hand wichtig. Es habe einen grossen Einfluss auf unser Gedächtnis, sagt die Pädagogin Judith Sägesser. Sie unterrichtet angehende Lehrkräfte an der pädagogischen Hochschule in Bern in Psychomotorik und Grafomotorik und betont die Bedeutung der Handschrift für die kognitiven Fähigkeiten: «Die Gedächtnisleistung ist besser, wenn das Kind auch den motorischen Ausdruck hat», erklärt Sägesser.
Dies bestätigt auch eine Studie aus den USA. Für die Studie nahmen 67 Studenten an einer Vorlesung teil. In einem anschliessenden Test schnitten die Studenten, die von Hand Notizen machten, deutlich besser ab als jene, die am Laptop mitschrieben.
Nicht nur deshalb bedauert Sägesser Wyss das Verschwinden der Handschrift. «Wir hätten einen Ausdruckskanal weniger, um uns unmittelbar mit unserem Körper ausdrücken zu können», sagt sie. Denn die Handschrift sei eine Form des individuellen Ausdrucks.
Das Schreiben von Hand enthält sehr viel Subjektives. Es ist fast wie Tanzen
Schönschreib-Kurse im Trend
Während die Handschrift im beruflichen Alltag immer mehr an Bedeutung verliert, erfreuen sich Kurse in Schönschrift wachsender Beliebtheit. Von der Marketingplanerin bis zum Plattenleger hat Laila Luisi Kursteilnehmer aus allen Lebenslagen, die bei ihr die Kunst des schönen Schreibens lernen wollen.
«Im digitalen Zeitalter haben wir wohl genug SMS und E-Mails verschickt, sodass wir gerne wieder einmal ein schönes Schreibwerkzeug in die Finger nehmen und dem Geschriebenem eine persönliche Note verleihen», vermutet die gelernte Schriftenmalerin und Kursleiterin Laila Luisi.
So sehen das auch ihre Kursteilnehmer. «Ich finde, das Schreiben von Hand enthält sehr viel Subjektives. Es ist fast wie Tanzen», sagt Teilnehmerin Myommi Sugaya.
Handschrift auf dem Tablet
Selbst in der IT-Branche, der Heimat der Digitalisierung, finden sich noch Anhänger der Handschrift. Mark Chardonnens ist als leitender Informatiker der Berner Kantonalbank vor allem in der digitalen Welt unterwegs, doch er setzt trotzdem auf die Handschrift: «Wenn man in der IT arbeitet, heisst es nicht zwingend, dass alles nur noch in der Maschinensprache ist», sagt Chardonnens, der die Notizen seiner vielen Sitzungen konsequent von Hand verfasst. Denn das Schreiben von Hand sei eine Möglichkeit, sich Dinge besser zu merken: «Es geht einfacher in den Kopf».
Doch ganz ohne Technik geht es bei Mark Chardonnens nicht, denn statt auf Papier schreibt er auf dem Tablet.