Patienten, die um ihr Leben kämpfen und eine einsam forschende Chemikerin, deren medizinische Sensation niemand hören will – versus profitorientierte Pharmafirmen und studienhörige Ärzte: Der Plot des ARD-Fernsehbeitrags, der im April dieses Jahres den Einsatz von Methadon im Kampf gegen Krebs thematisierte, ist klassisch gestrickt. Es ist eine Verschwörungstheorie wie aus dem Bilderbuch, David kämpft gegen Goliath.
Die Resonanz war entsprechend gross – trotz der Tatsache, dass Claudia Friesen ihre Kombination nur an 27 Patienten getestet hatte, von denen übrigens längst nicht alle eine Wunderheilung erlebt haben.
Unklare Zusammenhänge
Friesen konnte auch keine Kontrollgruppe aufbieten, um den Verdacht zu erhärten, dass die positiven Krankheitsverläufe tatsächlich im Zusammenhang mit Methadon stehen und nicht einfach Glück oder die Folge wirkungsvoller Chemotherapien und Bestrahlungen sind. Ihre Rückschlüsse basieren auf Zelltests im Reagenzglas und Versuchen an Mäusen – doch das lässt noch keine Rückschlüsse auf eine Wirksamkeit am Menschen zu.
Eine kürzlich erschienen Studie zeigt: Krebsforscher überschätzen häufig die Reproduzierbarkeit ihrer Versuche. Nicht alles, was im einen Durchlauf funktioniert hat, tritt so auch in folgenden Durchläufen ein. Immerhin: Der Wirbel ums Methadon hat nun Studien zur Folge – die Ergebnisse werden aber noch mindestens drei Jahre brauchen.
Die jetzt startenden Studien sind mehr als nur mehr eine Formsache.
Diese Studien sind mehr als nur mehr eine Formsache, um die Schlagkraft von Methadon in der Krebstherapie zu belegen. Denn bislang konnte noch keine Studie Friesens Beobachtungen stützen – möglich, dass das auch den nun initiierten Studien nicht gelingen wird.
Die Arzt-Patienten-Krise
Was aber bereits klar ist: Die Berichterstattung über Methadon hat Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Methadon ist nicht das harmlose Medikament, als das es in jüngster Vergangenheit gern dargestellt wurde. Die Nebenwirkungen sind manchmal so schwer, dass sie die Lebensqualität zusätzlich einschränken oder gar nur stationär in den Griff zu bekommen sind. Mehrere von «Puls» zum Thema befragte Ärzte konnten von Komplikationen wie Bewussteinsstörungen, Übelkeit und Erbrechen oder Muskelzuckungen berichten.
Dieses Risiko möchten Ärzte zum Schutze des Patienten ungern eingehen. Methadon hat nach Abwägung von Nutzen und Risiken seine Berechtigung in der Schmerztherapie. Für einen Einsatz gegen Krebs ist der Wirksamkeitsnachweis aber noch nicht erbracht und eine Verschreibung kritisch – insbesondere, wenn andere, nachgewiesenermassen wirksame Therapien zur Verfügung stehen. Dem gegenüber stehen verzweifelte Patienten und Angehörige, die keine Chance auf Heilung unversucht lassen möchten.
Warnung vor Alleingängen
Das birgt Konfliktpotenzial. Ärzte sind zurückhaltend gegenüber Methadon, Patienten fordern es aber ein – und fühlen sich vom Arzt nicht ernst genommen und nicht ausreichend unterstützt. Manche Patienten fragen sich dann so lange durch, bis sie einen verschreibungswilligen Mediziner finden, andere organisieren sich das Methadon gar auf anderen Wegen. Das ist lebensgefährlich, denn die Wirkung von Methadon muss medizinisch engmaschig überwacht werden.
Unter dem Strich leidet vor allem das Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie hat bei 473 Ärztinnen und Ärzten nachgefragt: 83 Prozent der onkologisch tätigen Mediziner gaben an, in der letzten Zeit oft oder sogar sehr oft von ihren Patienten nach Methadon gefragt worden zu sein. Zwei Prozent berichteten von Fällen, in denen sie eine Wirkung von Methadon auf den Tumor als plausibel betrachteten.
Vier von fünf Ärzten berichteten von enttäuschten Patientinnen und Patienten.
Jeder fünfte Mediziner jedoch hat bereits unerwartete oder ausgeprägte Nebenwirkungen bei Patienten unter Methadon beobachtet. Nur wenige Onkologen verschrieben Methadon selbst, eher betreuten sie Patienten, die das Medikament von anderen Ärzten verschrieben bekommen haben. 77 Prozent erlebten Gespräche über Methadon als kompliziert, 86 Prozent als emotional – und fast alle, nämlich vier von fünf Ärzten, berichteten von enttäuschten Patientinnen und Patienten.
Für die Schweiz existieren keine Umfragen zum Thema, aber: Auf Nachfrage von «Puls» bei zehn Deutschschweizer Kliniken waren die Erfahrungen ähnlich. Onkologen berichten, von Patienten zum Teil täglich auf Methadon angesprochen zu werden. Die Gespräche seien sehr aufwändig und intensiv, oft käme es zu schwierigen Situationen, weil Patienten Methadon unbedingt zur Krebstherapie wollten.
Am Schluss hat die Berichterstattung über Methadon also vor allem eines gebracht: grosse Verunsicherung und eine Vertrauenskrise zwischen vielen Patienten und ihren Ärzten. Doch eine gute Beziehung zwischen beiden ist massgeblich für eine gute Therapie und wirkt sich auch positiv auf den Krankheitsverlauf aus. Das – im Übrigen – ist belegt: durch gute, verlässliche Studien.
Marcus Anhäuser ist Medizin- und Wissenschaftsjournalist, der bereits seit sieben Jahren mit Medien-Doktor.de die Medizinberichterstattung unter die Lupe nimmt. Ein Erklärungsversuch der Risiken und Nebenwirkungen von Medien.
SRF: Die Diskussion zu Methadon in der Krebstherapie schlägt grosse Wellen. Auslöser der aktuellen Diskussion war ein neunminütiger Bericht im deutschen Politmagazin Plusminus. Wie haben Sie diesen Beitrag wahrgenommen?
Marcus Anhäuser : Das Thema hatte bereits die Welt am Sonntag letztes Jahr im November in einem Artikel sehr ausführlich aufgegriffen – aber ohne grosse Wirkung. Die kam erst mit Plusminus. Der Beitrag war sehr heftig. Man merkte ihm die These direkt an, und das finde ich sehr bedenklich: Da gibt es möglicherweise ein Mittel und die Pharmafirmen sperren sich dagegen. Da wird eine Verschwörung unterstellt. Es wird sehr emotional und suggestiv mit Patientenschicksalen berichtet, so dass ich als Betroffener eigentlich keine andere Chance habe als zu versuchen, dieses Mittel zu bekommen. Zudem geht es um Krebs, was immer eine sehr heikle Sache ist, Methadon ist dazu ein spezielles Medikament, das man aus der Drogentherapie kennt.
Und es ist die klassische Geschichte David gegen Goliath.
Ja – die Wissenschaftlerin, die seit Jahren mit ihren Zellen im Labor arbeitet gegen die bösen Pharmafirmen. Wenn man die Szene schon einige Jahre verfolgt, wird man spätestens dann hellhörig. Das ist ein klassisches Klischee. Pharmafirmen haben eine Menge Mist gemacht, aber Pharmafirmen sind auch nicht nur böse. Sich von diesen Schubladen zu lösen – diesem Framing, wie das Kommunikationswissenschaftler nennen – ist die Kunst.
Haben die Medien aus Ihrem Blickwinkel also alles falsch gemacht?
Kritische, einordnende Berichte gab es nur ganz wenige. Ich bin der Meinung, dass man über das Thema gar nicht hätte berichten dürfen, das war noch viel zu früh. Oder man hätte es ganz anders machen müssen. Bislang gibt es zu diesem Thema ja nur Zellversuche in Reagenzgläsern, Tumore in Mäusen und ein paar Patienten, denen Chemotherapie kombiniert mit Methadon vielleicht geholfen hat.
Man sollte lieber einmal zu wenig berichten als zu viel.
Wenn ich ein Mittel habe, das in grossen Studien untersucht wurde, dann kann ich so einen Bericht bringen. Falls nicht, sollte man lieber einmal zu wenig berichten als zu viel. Statt Fakten zu bringen haben viele Medien vor allem auf den emotionalen Aspekt gesetzt und immer wieder dieselbe, fast in Tränen ausbrechende Patientin gezeigt. Der einzige Kritiker wurde durch seine Interessenskonflikte kaltgestellt, aber in keinem Beitrag wurde versucht, neutrale Beobachter zu finden, die es zweifelsohne gibt.
Was könnten die Medien dann besser machen?
Gerade im Medizinjournalismus ist es wichtig, dass man sich immer vor Augen führt, dass das möglicherweise Menschen lesen oder ansehen, die um ihr Leben kämpfen oder seit Jahren an einer schweren Krankheit leiden. Auch wenn es ein klassisches Mittel ist, über Einzelfälle zu berichten, müssen diese extrem gut eingeordnet werden: Ist das ein belegter Fall, ein typischer – oder eine grosse Ausnahme?
Betroffene, die Patientenschicksale im Fernsehen sehen, werden von solchen Bildern umgehauen.
Betroffene, die Patientenschicksale im Fernsehen sehen, werden von solchen Bildern umgehauen. Da kann man hinterher erzählen, was man will, man hat kaum eine Chance mehr, gegen solche Bilder anzukommen, weil der Druck der Betroffenen so gross ist. Die suchen nach jedem Strohhalm. Wenn es um Medizinjournalismus geht, dann ist mir jeder Patient, der im Fernsehen nicht auftritt, lieber. Auch wenn der Effekt dann schwächer ausfallen mag. Im Fall von Methadon wäre das sicher besser gewesen.