Hektisch kurbelt James Kimani am Steuerrad und quetscht seinen goldenen Bus in eine enge Lücke. Je schneller er an der Haltestelle Passagiere aufladen kann, umso besser. «Zeit ist Geld», sagt James grinsend. Der Chauffeur bezahlt dem Besitzer des Busses täglich einen fixen Betrag. «Je mehr Fahrten ich mache, desto mehr Einkommen bleibt mir», erklärt James. Also wird gedrängelt.
Die Chauffeure überholen auf dem Trottoir, überfahren rote Ampeln und rasen um die Wette. Matatu-Busse haben einen zweifelhaften Ruf. Doch sie sind günstig und fahren oft. Ohne Matatus würde das öffentliche Leben in Kenias Hauptstadt Nairobi praktisch zusammenbrechen.
Hippe Busse sind beliebter
Die Matatus sind Farbtupfer in der grauen Stadt. Viele Minibusse sind farbig besprayt mit populären Motiven und im Innern laufen auf Bildschirmen Musikvideos. Der Bus von James ist mit grimmigen Hunden dekoriert. «Mad Dog» steht über der Windschutzscheibe geschrieben. Fährt er wie ein verrückter Hund? «Nein, nein», lacht James, «das war die Idee des Designers. Die Form des Busses hat ihn an einen Hund erinnert.»
Die Sujets auf den Matatu-Bussen sind vielfältig
Musik und Farbe sollen Passagiere anlocken, erklärt James: «Wenn ich mit einem hippen Matatu an der Haltestelle auftauche, füllt er sich rasch, weil alle mitfahren wollen.» Doch vorerst wird der «verrückte Hund» vom Einweiser an der Haltestelle nach hinten verwiesen – James hat zu sehr gedrängelt.
Open-Air- Werkstatt auf Parkplatz
«Matatus sind Clubs auf Rädern», erklärt Kevin Kipngetich. Der 23-Jährige hat das «Mad Dog»-Matatu gestaltet, er arbeitet als Minibus-Designer in einem Aussenquartier von Kenias Hauptstadt. Dutzende Handwerker haben auf einem Parkplatz der Stadt eine Open-Air-Garage eingerichtet. «Hier wird alles gemacht, von der Bemalung über die Soundanlage bis zur Lichtinstallation», so Kevin. Er hat sein Hobby Illustrieren zum Beruf gemacht und ist als «Ksquare» in der Szene ein Begriff.
Auf dem Matatu-Parkplatz
Wenn Kevin sprayt, wirkt das wie ein Kinderspiel. An der Aussenwand eines Busses entstehen Szenen aus der TV-Serie «Rick and Morty». In der linken Hand hält er den Ausdruck eines Bildes, mit der rechten Hand bedient er die Spritzpistole. Nachdem seine Assistenten die Konturen auf den Bus übertragen haben, sprayt Kevin ohne weitere Hilfe das Bild aufs Fahrzeug.
Regen und Vertreibung drohen
Kevin hat bereits während des Studiums mit dem Sprayen begonnen. Ein paar Monate ging er bei einem etablierten Matatu-Designer in die «Lehre». Unterdessen führt er sein eigenes Unternehmen und beschäftigt drei Angestellte. Für die Gestaltung eines grossen Busses mit 33 Sitzen braucht er rund eine Woche und verlangt je nach Aufwand mehrere tausend Franken.
Während Kevin den Farbaufsatz auf der Spritzpistole wechselt, schaut er kritisch in den grauen Himmel. Wenn es regnet, kann er nicht malen – der Platz ist nicht gedeckt. Und auch sonst ist sein Arbeitsort unsicher: Wenn die Stadt den Parkplatz anderweitig nutzen will, wird sie die jungen Männer vertreiben.
Das ist typisch für die Arbeitswelt Kenias. Viele Menschen arbeiten im informellen Sektor, auf eigenes Risiko und ohne Kontrolle. Vertreibungen kommen regelmässig vor, und sie können Existenzen zerstören.
Doch Kevin macht sich keine Sorgen: «Man muss stets auf alles vorbereitet sein. Ich habe viele Kunden und könnte mir unterdessen sogar meine eigene Garage leisten.» In dieser komfortablen Lage befinden sich nur wenige Handwerker auf dem Parkplatz.
Polizei schaut weg
In der Innenstadt hat sich das «Mad Dog»-Matatu inzwischen bis auf den letzten Platz gefüllt. Chauffeur James Kimani fährt an zwei Polizisten vorbei und ruft ihnen einen Scherz zu. Die Polizei und die Chauffeure sind voneinander abhängig. Polizisten streichen Schmiergelder ein, dafür lassen sie auch nicht strassentaugliche Gefährte passieren.
Kenias Politiker haben schon mehrfach versucht, den Matatu-Verkehr zu regulieren. Doch die mächtigen Matatu-Kartelle wehrten alles ab. Ein digitales Bezahlsystem scheiterte. Die Gurtenpflicht ebenfalls. Einst hatte die Politik gar die farbige Bemalung der Matatus verboten. Doch Präsident Uhuru Kenyatta verkündete 2014 höchstpersönlich, die Bemalung würde Arbeitsplätze schaffen und sei deshalb erlaubt.
Internationale Prominenz auf den Bussen
Seither dienen die Matatus in Nairobi als Trendbarometer. Ob Popstar oder Politiker, Fussballclub oder Fernsehserie – was oder wer gerade angesagt ist, findet seinen Weg auf die Karosserien. Bob Marley, Donald Trump, Rapper Whiz Khalifa oder Cristiano Ronaldo sind alle in Nairobis Strassen unterwegs.
Lokale Promis hingegen findet man selten. «Es geht in erster Linie darum, Aufsehen zu erregen», erklärt Sprayer Kevin. Internationale Stars ziehen, lokale Politiker sind zu kontrovers.
Ältere Passagiere weichen aus
Doch locken die rollenden Kunstwerke tatsächlich mehr Fahrgäste an? Fahrer Kimani und Designer Kevin glauben fest daran.
Eine Umfrage bei Passagieren bringt jedoch unterschiedliche Ansichten ans Licht. «Ich warte auf mein Lieblingsmatatu», erklärt ein Student am Busbahnhof. Jüngere Passagiere lieben die laute Musik, welche die Fahrzeit verkürzt. Doch ältere Kenianer oder Familien weichen lieber auf ruhigere Vehikel aus. Denn der Lärm aus den scheppernden Boxen ist ohrenbetäubend, die Videos sind nicht immer jugendfrei.
James hat sein Matatu an der Endstation gewendet und ist unterwegs zurück ins Zentrum. Doch es geht kaum vorwärts im Stossverkehr Nairobis. Ständig wechselt James die Spur. Eine der Spuren auf dem sogenannten «Superhighway» ist für ein neues Schnellbussystem reserviert – seit Jahren schon. Die Matatu-Kartelle mögen keine Konkurrenz. Darum wird Nairobis Verkehr auch in den nächsten Jahren von schrottreifen und farbenfrohen Bussen dominiert.