Kirchgemeinden rüsten auf - Digitale Glockensteuerung: Wenn Sigrist eine ruhige Kugel schiebt
Mesmer und Sigrist ziehen schon lange nicht mehr an Seilen, um Glocken klingen zu lassen. Motoren haben die Aufgabe übernommen. Seit kurzem müssen die Kirchendiener nicht einmal mehr einen Schalter umlegen: Das Geläut wird automatisch ausgelöst, programmiert über ein Tablet.
Die meisten der rund 5000 Kirchen sind noch nicht digital – aber es werden immer mehr. Jene von Regensdorf gehört dazu. Sie hat eine Gebäudevernetzung mit digitaler Steuerung der Glockenschläge. Wie das funktioniert, demonstriert mir Jean-Paul Ebinger von der reformierten Kirchgemeinde.
Ich steige mit ihm im Kirchturm eine Holztreppe hinauf zum ersten Zwischenboden. Hier hängen vier Seile von der Decke. Ein analoges Backup.
Digitale Glocken-Renovationen
Box aufklappenBox zuklappen
Ein Glocken-Klöppel kann beim Läuten mit 100 und mehr G aufschlagen. Das beansprucht eine Glocke enorm. Fachleute messen die Daten der Beschleunigungswerte, erstellen daraus ein Computermodell und können dann optimale Läutebedingungen berechnen. So leben Glocken länger. Die EU hat dazu das Pro Bell-
Kompetenzzentrum
geschaffen.
Wenn die Glockensteuerung ausfallen sollte, können Helfer von Hand die Glocken zum Schwingen bringen. Jean-Paul Ebinger weist auf Klebe-Bänder an den Seilen hin, etwas unterhalb des Loches, durch das die Seile nach oben führen.
Es sind Begrenzungs-Markierungen. Wenn eine Markierung im Deckenloch zu verschwinden droht, weiss der Glöckner, dass die Glocke zu stark ausschwingt und die Mauer der Kirchturmuhr beschädigen kann.
Dass das in der Vergangenheit passiert ist, beweisen Dellen im Turm. Jean-Paul Ebinger will mir die Schäden zeigen, «wenn wir oben sind».
Analoges Räderwerk
Nach einer weiteren knarrenden Holztreppe sind wir auf dem zweiten «Bödeli» angelangt. Hier steht ein Holzkasten, darin drehen Zahnräder: Der Antrieb für die Kirchturmuhr. Über Metallstangen wandert die Kraft durch den Turm nach oben bis zu den Zeigern. Analog – aber auf die Sekunde genau. Die Uhrzeit wird digital über das Netz synchronisiert.
Jean-Paul Ebinger zeigt mir die alte Glockensteuerung, die auf dem Kasten liegt. Sie besteht aus mehreren Scheiben. Jede Scheibe ist in verschiedene Zeitdimensionen eingeteilt, Monate, Tage, Stunden. Mit kleinen Klammern konnte man am Rand der Räder das Glockengeläut «programmieren», so, wie wir es von mechanischen Haushalts-Zeitschaltuhren kennen.
Digitale Steuerungen sind flexibler. Dank ihrer Vernetzung kann das Sekretariat der Kirchgemeinde im Event-Kalender heute eine Beerdigung eintragen, die in drei Tagen stattfindet – das Geläut dazu wird automatisch programmiert.
Glocke mit Quetsch-Gefahr
Auf der dritten Zwischenebene erhält die Steuerung ein Gesicht. Ein Metallschrank mit elektronischen Schaltern, Sicherungen und kleinen Computern.
Nun wird es eng. Damit auch ich oben im Glockenturm Platz habe, zwängt sich Jean-Paul Ebinger in die Lücke zwischen Turmwand und der grössten Glocke. Sie ist 800 Kilogramm schwer.
«Wenn die jetzt käme, wäre ich mausetot!»
Er zeigt auf die Sensoren, die den Ausschlagswinkel jeder Glocke überwachen, damit eben nicht wie früher die Glocken Dellen in die Turmwand schlagen.
Dazu übermitteln die Sensoren die Werte an die digitale Steuerung, die dadurch die linearen Magnet-Motoren feinfühlig regulieren kann.
Die Steuerung im Kleiderschrank
Unten im Pfarrzimmer öffnet Jean-Paul Ebinger den ehemaligen Kleiderschrank. Hier schlägt das Herz der digitalen Glockensteuerung: Ein Server. Daneben liegen kleine Boxen, ein Router – und viele Kabel, Ethernet und Glasfaser. Jean-Paul Ebinger nimmt das Tablet in die Hand, das auf dem kleinen Tisch nebenan liegt.
«Dann lassen wir mal Glocke 2 läuten!»
Jean-Paul Ebinger drückt auf ein Symbol, wir warten ein paar Sekunden – und dann höre ich ganz leise die Glocke, von weit oben, dort, wo wir gerade eben noch waren.
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