Die dreidimensionale Erfassung eines Tatorts gehört schon seit Jahren zum Polizeialltag. Neu ist die Überführung der Daten in einen virtuellen Raum, den man mit einer VR-Brille besichtigen kann. Das hat viele Vorteile:
- Realistisch anmutende Tatortbesichtigungen sind nun möglich, auch wenn der Tatort bereits verändert wurde.
- Während eine Zeugin die VR-Brille trägt und den Ablauf der Tat schildert, wird ihre Sicht auf den rekonstruierten Tatort im Computer aufgezeichnet. Zusammen mit Videoaufnahmen kann man später nachvollziehen, was sie bei welcher Aussage gesehen hat.
- Spezialisten wie etwa Schusswaffenexperten profitieren vom erlebbaren Raum.
- Experten können über weite Distanzen einen virtuellen Tatort analysieren.
Beispiel: Schiesserei
Im August 2006 wollen mehrere Polizisten in einem Zürcher Internet-Café eine Personenkontrolle durchführen, weil sie dort einen Drogenhändler vermuten. Plötzlich zückt der Verdächtige eine Pistole und gibt sieben Schüsse ab. Wie durch ein Wunder wird nur einer der Beamten an der Hand leicht verletzt. Das Obergericht verurteilt den Täter 2008 zu 11 Jahren Gefängnis unbedingt.
Vom 3D-Scanner zur VR-Brille
Der Fall ist also längst abgeschlossen. Doch am 3D-Zentrum der Uni Zürich (einer Kooperation des Instituts für Rechtsmedizin und des Forensischen Dienstes) wurden die 3D-Daten des Internet Cafés jetzt mit den neusten Methoden wieder aufbereitet. Dabei stützt man sich auf Material, das unmittelbar nach der Tat mit einem der ersten damals erhältlichen Laser-Scanner erfasst wurden.
Die Software der Spezialisten von der Uni berechnet daraus einen virtuellen Raum, den man mit Hilfe einer VR-Brille wie in einem Game erleben kann. Dazu verwenden die Wissenschaftler die Software Unity – ein Produkt, das eigentlich für Computerspiele entwickelt wurde und das in vielen Games verwendet wird.
Aufgrund der Videoaufzeichnungen aus dem Internet Café können die Spezialisten nun Jahre später die Position und Körperhaltung aller Polizisten und des Täters im virtuellen Raum zum Zeitpunkt der Schussabgaben genau nachbilden. Weil auf den Videos jeweils das Mündungsfeuer zu sehen ist und die Einschusslöcher in der Wand bekannt sind, kann auch die Schussbahn genau rekonstruiert werden. Im virtuellen Raum (siehe das Bild unten) ist die Schussbahn als dicker, bunter Strich eingezeichnet.
In einer anderen Welt
Die Rekonstruktion ist eindrücklich: Kaum streift man die Virtual Reality Brille über, befindet man sich am virtuellen Tatort. Das Internet-Café mit Fenstern und Möbeln ist in den Dimensionen detailgetreu nachgebildet, die Oberflächen sind jedoch schematisch gehalten.
Polizisten und Täter wirken wie Statuen – Körper, die im Moment der Schussabgaben in Raum und Zeit eingefroren wurden. Folgt man der Flugbahn des Geschosses und geht dazu auf die Knie, so sieht man genau, wie das Projektil einen Beamten an der Hand streift.
«Man geht im Moment davon aus, dass es für einen Zeugen leichter ist, sich zu erinnern, wenn er vor Ort ist – reell oder virtuell», sagt Till Sieberth, Ingenieur für 3D-Visualisierung und -Rekonstruktion am Rechtsmedizinischen Institut der Universität Zürich. In welchen Fällen sich die VR-Brille für eine Befragung tatsächlich eignet und wann nicht, dazu fehlt noch die Erfahrung. Das System des 3D-Zentrums kam bis jetzt erst bei zwei Verfahren zur Anwendung.