«Ich kann nicht beschreiben, wie dankbar ich meiner lieben Freundin Francia Raisa bin»: Das schreibt Sängerin und Schauspielerin Selena Gomez Mitte September auf Instagram neben einem Bild, das sie und Francia Raisa in Spitalbetten nebeneinander zeigt – händehaltend. «Sie hat mir das ultimative Geschenk und Opfer gemacht und mir eine ihrer Nieren gespendet.»
Für Selena Gomez ist dieser Freundschaftsdienst ein Glücksfall, denn Organspenden von lebenden Personen sind erfolgreicher als die von verstorbenen. Thomas Müller, Nierenexperte des Universitätsspitals Zürich, bewundert diese Entscheidung. «Das sind wirklich Helden für mich. Sie haben das Risiko einer Operation und zudem nur noch eine Niere«, sagt er.
Lange Wartezeiten umgehen
Die Empfänger profitieren gleich mehrfach: Die Wartezeit auf ein Organ, die ansonsten bei drei bis fünf Jahren liegt, ist deutlich kürzer. Und die Qualität des Spenderorgans ist besser – es wird in 95 Prozent der Fälle vom Körper angenommen. Bei Nierentransplantationen von Verstorbenen ist das bei 85 Prozent der Fall. Jede dritte Nierentransplantation in der Schweiz ist eine Lebendspende.
So zurückhaltend Schweizer bei der Organspende im Todesfall sind: Bei den Lebendspenden ist die Schweiz europaweit an der Spitze.
Die Spender geben mit ihrem Organ auch ihr Fangnetz auf: Für den unwahrscheinlichen Fall, dass bei ihnen selbst einmal eine Niere versagt, ist keine zweite mehr da, um die Blutwäsche zu übernehmen. «Es ist ein wenig wie ein Bankkonto: Man hat mit einer Niere weniger Reserven», sagt Jürg Steiner, Nierenspezialist am Universitätsspital Basel. Um dieses und alle anderen Risiken so weit wie möglich zu minimieren, werden die Spender genau untersucht, damit sie im Anschluss so weiterleben können wie zuvor.
Für Francia Raisa gelten die gleichen Empfehlungen wie für jeden anderen: nicht rauchen, sich fleisch- und salzarm ernähren, ein bis zwei Liter pro Tag trinken. Bestimmte Medikamente wie Schmerzmittel, die die Niere belasten, sind ab jetzt nicht mehr ideal – sogenannte nicht steroidale Antirheumatika wie Ponstan, Voltaren, Brufen beispielsweise. Und Blaseninfekte und der Blutdruck verdienen jetzt besondere Aufmerksamkeit.
Auf 3000 Spenden kommt nur ein Todesfall.
Die unmittelbare Gefahr für die Spenderin Francia Raisa war jedoch verschwindend gering: Auf 3000 Spenden kommt nur ein Todesfall. Seit 1966, seitdem in der Schweiz Lebendspenden möglich sind, ist noch kein Spender durch Komplikationen im Zuge der Operation gestorben. Dennoch: Etwa eine Woche verbringt auch der Spender im Spital.
Danach dauert es noch einmal mindestens vier bis sechs Wochen, bis der Spender wieder arbeitsfähig ist. Insgesamt braucht es im Schnitt drei bis vier Monate, bis er sich wieder komplett erholt hat. Nur zwei Prozent der Spender suchen nach der Entlassung noch einmal wegen Problemen einen Arzt auf – meistens wegen der Narben oder wegen Müdigkeit. Neun von zehn Spendern fühlen sich ein Jahr nach der Nierenentnahme wieder so fit wie zuvor.
Lebendorganspenden
Wer kann spenden? Die erste Nierentransplantation 1954 war eine Lebendspende. Seit 1990 ist die Zahl zunehmend, das entlastet die Situation der 1490 Nierenkranken auf der Warteliste (Stand 2016). In der Schweiz kann jeder gesunde Mensch ab 18 Jahren eine Niere spenden. Die älteste Spenderin der Schweiz war fast 80. Sie spendete ihrer an Diabetes erkrankten Tochter eine Niere. |
Blutgruppe: Ein Spender mit gleicher oder zumindest kompatibler Blutgruppe ist ideal, aber auch eine andere Blutgruppe ist heute kein K.o.-Kriterium mehr, bedarf allerdings einer längeren medizinischen Vorbereitung. Es ist auch eine Cross-over-Lösung möglich: Spender 1 spendet sein Organ Empfänger 2, der Spender 2 wiederum spendet sein Organ dem Empfänger 1. |
Francia Raisa wird sich hoffentlich schnell erholen – auch, weil sie noch so jung ist – und wird ein positives Fazit ziehen: Über 94 Prozent würden sich wieder zu diesem Schritt entscheiden.
Es besteht auf jeden Fall ein psychologischer Druck in der Familie.
Eine Lebendnierenspende ist ein grosses Geschenk, das auch Beziehungen verändern kann. «Ich glaube, es besteht auf jeden Fall ein psychologischer Druck in der Familie. Wenn man einen kranken Angehörigen hat, möchte man natürlich helfen. Und man weiss, man könnte vielleicht helfen», sagt Nierenspezialist Thomas Müller. Zwar empfindet die Mehrheit der Spender keine Veränderung in der Beziehung zum Empfänger, doch bei 20 Prozent intensivierte sich die Beziehung. Nur bei zwei Prozent wurde sie schlechter.
Auch Patrick und Shai standen vor der Frage einer Lebendspende. Als die Niere von Patrick versagte, sprang sein Lebensgefährte Shai ein und spendete eine seiner Nieren. Im Gespräch erzählt Shai von seinen Erfahrungen:
SRF: Wie ist die Entscheidung gefallen, eine Niere zu spenden?
Shai: Ich war auf dem Weg zur Arbeit, als Patrick anrief und mir sagte, dass seine Behandlung nicht mehr anschlägt und er eine neue Niere braucht – und ob ich das tun wolle? Es war ganz klar, dass ich sofort Ja sagte. Ich habe Patrick bei der Dialyse besucht und die anderen Menschen gesehen, die auf eine Niere warten. Dann willst du jemandem, der dir so nahesteht, noch mehr helfen.
Ich hätte mich bis zum Moment der Narkose noch anders entscheiden können.
Sie haben nie mit der Entscheidung gehadert?
Wir sind ein Paar, deshalb war für mich die Sache klar. Viele Menschen, mit denen ich mich darüber unterhalten habe, sagten, sie wüssten nicht, ob sie das tun könnten. Aber man weiss nie, wie man reagiert, bis man selbst in der Situation steckt. Patrick hat nie Druck ausgeübt – und auch das Spital nicht. Im Gegenteil: Ich hätte mich bis zum Moment der Narkose noch anders entscheiden können.
Aber Angst vor einem solchen Eingriff hatten Sie doch bestimmt?
Nein. Ich vertraute dem Spital. Dort testeten sie mich auf alles. Sie sagten mir, dass es jetzt nicht um Patrick gehe, sondern um mich – weil ich eine gesunde Person sei und ich jetzt im Zentrum stünde. Wenn es nur den leisesten Zweifel gäbe, dass mir etwas passieren könne – dann gäbe es für die keinen Zweifel, die Transplantation abzusagen.
Ich will kein Held sein.
Sie beide haben die Operation gut überstanden. Hat sich Ihre Beziehung verändert?
Genau das will ich nicht. Wir versuchen, so normal zu sein wie möglich – wir ärgern uns genau wie zuvor (lacht). Ich will kein Held sein. Und schon gar nicht will ich, dass Patrick das Gefühl hat, in meiner Schuld zu stehen.