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Ohne Bedeutung, aber wichtig «Ähm» und «Äh» sind Fluch und Segen zugleich

Füllwörter und Sprechpausen fallen im Alltag bloss in negativen Situationen auf. Doch sie haben einen Nutzen.

Eine Bedeutung haben sie nicht, Wörter wie «Ähm» und «Äh», und doch nutzt sie jeder – ausnahmslos. Sie kommen sogar in jeder Sprache vor. «Nuu» und «Mmm» lautet Ähm auf Russisch, «Cainjo» auf Nepali, «Neige» auf Chinesisch, oder «Ööö» auf Burmesisch.

«Wer eine neue Sprache lernt, muss auch wissen, wie Ähm in dieser Sprache heisst», sagt Balthasar Bickel, Linguist an der Universität Zürich. Denn Ähms sind wichtig. Sie zögern das Sprechen hinaus.

Blitzschnell im Interpretieren

Eine Verzögerungstaktik ist dann nötig, wenn das Gehirn mehr Zeit braucht, um das Sprechen vorzubereiten.

«Sprechen ist etwas hoch Komplexes», sagt Balthasar Bickel. «Innert kürzester Zeit laufen wahnsinnig viele Dinge ab.» Es beginnt beim Hören: Sobald ein Wortschwall über das Ohr in das Gehirn gelangt, beginnt dieses bereits nach 200 bis 600 Millisekunden zu interpretieren. Bevor ein Satz fertig ausgesprochen ist, versucht das Gehirn ihn zu vervollständigen.

Gegen Zeitdruck hilft nur: Ähm

Während noch immer Informationen fliessen, bereitet das Gehirn bereits eine Antwort vor und plant das Sprechen. Nach 600 Millisekunden sendet es Signale an Lippen und Zunge, der Mund ist bereit für die Antwort. «Es herrscht ein unglaublicher Zeitdruck in diversen Hirnarealen», sagt Balthasar Bickel.

Deshalb ist es sinnvoll, dass es eine Strategie für Verzögerungen gibt. Neben Füllwörtern wie Ähm, kann man auch Sprechpausen einlegen oder die Sprechgeschwindigkeit verlangsamen.

Audio
Wie und warum sich «Ähms» in unsere Sprache schleichen
aus Kultur aktuell vom 25.05.2018.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 7 Sekunden.

Hinter einem Nomen steckt viel Neues

Auffällig ist, dass man vor Nomen leicht verlangsamt. Das hat Balthasar Bickel mit einer neuen Studie herausgefunden: «Dies bedeutet, dass die Planung eines Nomens ein paar Millisekunden länger dauert.» Das hängt damit zusammen, dass Nomen jeweils Informationen einführen, von der bisher noch keine Rede war.

Für die Studie hat Balthasar Bickel mit seinem Team neun Sprachen untersucht, die so unterschiedlich wie möglich sind. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler zeigen, dass der gefundene Effekt universell für alle Sprachen gilt. Damit haben sie eine Limitierung des menschlichen Gehirns gefunden.

Verzögerungen helfen Kindern lernen

Dasselbe möchte er nun bei der Kindersprache untersuchen, denn eine Studie aus den USA zeigt, dass Verzögerungen Kindern helfen können, die Sprache besser zu lernen. Sie können dadurch beispielsweise besser Nomen von Verben unterscheiden.

Die Muttersprache erlernen – eine Meisterleistung

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Das menschliche Gehirn ist extrem flexibel. Es kann eine beliebige der 7000 existierenden Sprachen lernen. «Auch wenn die Grammatik so unterschiedlich ist, wie man es sich gar nicht vorstellen kann», sagt Sabine Stoll, Linguistin an der Universität Zürich.

Während es im Englischen beispielsweise drei Verbformen gibt, existieren im Chintang, einer nepalesischen Sprache, mehr als 4000.

Egal wie komplex die Sprache ist, ein Kind kann sie innerhalb der ersten drei bis vier Lebensjahre lernen. Obwohl es zunächst nicht einmal weiss, dass so etwas wie Sprache überhaupt existiert.

Einen Lautschwall entwirren

«Im ersten Jahr könnte man meinen, es passiert nicht viel in der Sprachentwicklung», sagt Sabine Stoll. Doch das Kind hört: Laute, die sich aneinanderreihen.

Nach wenigen Monaten bemerkt es, bestimmte Laute hört es stets in der gleichen Reihenfolge. Und: die Eltern nutzen einen Begriff wie etwa Flasche immer wieder in ähnlichem Kontext. «Regelmässige Wiederholungen sind wichtig, denn nur so erkennt das Kind Muster», erklärt die Logopädin.

Dabei wird klar: Nur was ein Kind hört, kann es auch lernen. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern mit ihrem Kind sprechen. Auch wenn es zunächst noch nicht Antworten kann.

Am Anfang ist das Nomen

Nach etwa einem Jahr beginnt es, erste Wortformen zu imitieren. Ab dem Moment achtet es nicht mehr nur auf Laute, sondern auf die Wörter. Sabine Stoll: «Wenn das Kind einen neuen Satz hört und ein Wort darin bereits versteht, ist es einfacher, auf die Bedeutung neuer umliegender Wörter zu schliessen.»

Zu Beginn nutzen Kinder häufiger Nomen. Die Forschung von Sabine Stoll zeigt, dies gilt selbst für Sprachen, in denen vorwiegend Verben existieren. Der Grund dafür: Sie sind grammatikalisch einfacher.

Kinder experimentieren

Zunächst realisiert das Kind noch nicht, wann ein Wort beginnt und wann es endet. Ausdrücke wie «Ich will» wird als Einheit verstanden. Damit wird experimentiert. Anhand der Reaktion der Eltern, merkt das Kind, sowohl Apfel, als auch Schokolade passen in die gleiche Konstruktion.

Mit etwa drei bis vier Jahren hat das Kind die Regeln der Grammatik verstanden und kann aus einzelnen Wörtern etwa neue Wortformen bilden, die es noch nie von jemandem gehört hat.

Kompliziert, aber lustig

Einfach ist das nicht, vor allem bei schwieriger Grammatik. «Die Mehrzahl ist im Deutschen unglaublich kompliziert», sagt Sabine Stoll. Deshalb sind lustige Fehler absehbar: aus Bus werden Bussen, aus Huhn, Hühne oder aus Maus, Mause.

Sprache lernt das Kind nur durch Ausprobieren. Gesprächspartner sind dabei sehr wichtig. Setzt man das Kind etwa vor den Fernseher, lernt es kaum etwas.

Die schwierigen Seiten der Sprechpausen

Die Ähms und Sprechpausen sieht Isabelle Ryser, Vorstandsmitglied des Deutschschweizer Logopädenverbandes, aus einem etwas anderen Blickwinkel: «Ich sehe eher die beeinträchtigenden Seiten von Ähms und Ähs, sie kommen etwa beim Stottern vor.» Die Logopädin unterstürzt vorwiegend Kinder, die unter Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen leiden. Ihre Patienten brauchen oft deutlich länger als 600 Millisekunden, um Wörter zu formulieren.

Weshalb eine Sprachstörung entsteht, kann vielfältige Gründe haben. Sie kann etwa vererbt sein. «Doch nicht alle, die eine erbliche Veranlagung dazu haben, entwickeln eine Sprachstörung», sagt Isabelle Ryser.

Es kommt auch darauf an, welche Persönlichkeit das Kind hat. Ist es eher introvertiert und spricht nicht gern, fehlt die Übung. Einen weiteren entscheidenden Einfluss haben die Eltern und Bezugspersonen. Wie häufig und auf welche Weise sie mit dem Nachwuchs sprechen, prägt das Kind in den ersten drei Lebensjahren enorm.

Überlappende Hirnareale nutzen

Kinder, die auffällig häufig Ähm und Sprechpausen nutzen, haben oft Mühe, das treffende Wort zu finden. Meistens haben sie einen eingeschränkten Wortschatz. Ihnen versucht Isabelle Ryser mehr Wörter zur Verfügung zu stellen – ganze Wortgruppen, die zusammengehören und baut diese gezielt auf.

Verzögerungen in der Aussprache können auch mit der Motorik zusammenhängen. Deshalb lässt Isabelle Ryser die Kinder Mund und Zunge trainieren. Damit verfestigen sich die Abläufe im Gehirn, die das Sprechen vorbereiten.

Ein zusätzlicher Trick können Fingerübungen sein. Der Grund dafür befindet sich im Gehirn: Die Areale, die Finger und Mund bewegen, liegen nahe beieinander, teilweise überlappen sie sich sogar. Die Feinmotorik der Finger kann auch die Beweglichkeit des Mundes stimulieren.

Charmant oder lästig?

Therapiebedürftig sind nur die wenigsten, die Ähms und Sprechpausen nutzen. Die Menge ist entscheidend. Wann man dagegen etwas unternehmen sollte, ist klar: «Die Zuhörer sind sich da einig», sagt Isabelle Ryser.

Doch nicht immer ist das Umfeld so ehrlich und macht das Gegenüber auf Unangenehmes aufmerksam. Dann hilft laut Isabelle Ryser nur eins: sich selber aufnehmen und zuhören.

Wer sich bewusst ist, dass er in bestimmten Situationen zu viele Ähms und Füllwörter nutzt, der kann darauf achten und sich umgewöhnen. «Doch manchmal ist das gar nicht nötig», sagt Isabelle Ryser, «denn kleine Marotten können auch charmant sein.»

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