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Oscars 2018 «Fast alles, was gesagt wurde, war offensichtlich geprobt»

Sie ist der Höhepunkt des Filmjahres: die Oscar-Verleihung in Los Angeles. Vier Stunden dauerte sie auch in diesem Jahr. Aber ansonsten erwartete man eine etwas andere Show – nach den Missbrauchsvorwürfen gegen Produzent Harvey Weinstein und #MeToo. Wie flossen diese Aspekte in die Veranstaltung ein? Patrizia Moreno hat Filmredaktor Michael Sennhauser gefragt.

Michael Sennhauser

Filmredaktor, SRF

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Michael Sennhauser ist Filmredaktor bei SRF. Er gewann für sein Schaffen den Greulich Kulturpreis 2016.

SRF News: Wie waren die Weinstein-Affäre und die Me-too-Debatte an der Oscar-Verleihung zu spüren?

Michael Sennhauser: Eigentlich schon fast programmatisch. Man hat die Themen eingebaut – und zwar mit Drehbuch. Das hat schon damit angefangen, dass sie Jimmy Kimmel, der Präsentator, in seinen ersten Sätzen auf den Punkt brachte. Er hat gesagt und zeigte dabei auf die Statue: «Oscar ist der perfekte Mann heute. Er hat die Hände immer dort, wo man sie sehen kann und hat keinen Penis.» Er hat auch gesagt: «Jetzt geht dann der Twittersturm wieder los, weil der Präsident auf dem Klo sitzt.» Und: «Es ist das Jahr, in dem sich die Männer so daneben benommen haben, dass die Frauen begannen, sich in Fische zu verlieben.» Damit hat er sich auf einen der Favoritenfilme, auf «The Shape of Water», bezogen.

So ging’s weiter. Kimmel hat auch gesagt: «Wer immer etwas sagen will heute Abend, soll das tun. Man muss nicht, aber man darf.» Und das ist neu an den Oscars.

Das ist ja sonst eine total durchgetimte Veranstaltung. Dieses Mal nicht, war da alles durcheinander?

Durchgetimt war es immer noch. Aber es gab tatsächlich diese Art der Redefreigabe. Diese haben vor allem die Frauen ausgenutzt. Wobei man sagen muss: Das war eigentlich alles durchgeskriptet. Das heisst, fast alles, was gesagt wurde von den Frauen und den Präsentatorinnen und Präsentatoren, war offensichtlich geprobt. Denn das Timing war dermassen perfekt, dass die ganze Show sogar ein paar Minuten früher fertig war als eigentlich geplant.

Sämtliche Liveticker haben auf einen besonderen Moment hingewiesen: als drei Frauen die Bühne betraten. Nämlich Annabella Sciorra, Ashley Judd und Salma Hayek – drei wirklich zentralen Figuren in dieser Weinstein-Affäre.

Das war das eigentliche Programm, die Filme waren schon fast Nebensache. Die Preise wurden durchweg so verteilt, wie man es erwartet hat; es gab keine grossen Überraschungen. Die grosse Frage des Abends war: Wie kommt dieses Thema zur Sprache – also #MeToo. Und es kam tatsächlich immer wieder zur Sprache, wobei das recht spielerisch funktionierte.

Der einzige, der immer wieder etwas abbekam, war Präsident Trump. Jimmy Kimmel hat irgendwann gesagt: «Überall haben wir neue Hoffnung hingeschickt, ausser ins Weisse Haus. Da ist die Hoffnung, also Hope Hicks, letzte Woche gegangen.» Aber im Grossen und Ganzen muss man sagen: Die Leute kamen auf ihre Kosten. Weil genau das erfüllt wurde, was man sich erhofft hat. Nämlich viele Frauen, die darauf hinweisen: «Wir sind da».

Der Abend hatte also durchaus etwas Politisches. Selbst wenn er abgezirkelt war.

Ja. Alle durften etwas sagen, hatte man das Gefühl. Obwohl das offensichtlich geskriptet war. Das Drehbuch muss so geplant und geschrieben worden sein.

War da nichts Irritierendes dabei?

Es gab ein paar wenige Momente. Ein grosser Moment war mit Frances McDormand, die für ihre Darstellung in «Three Billbords Outside Ebbing, Missouri» als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde. Sie hat richtig losgelegt: «Ich habe noch was zu sagen.» Dann hat sie alle Frauen, die nominiert waren, aufgefordert aufzustehen.

Zunächst hat sie Meryl Streep aufgefordert aufzustehen, und dann folgten die anderen auch. Das taten sie dann allerdings etwas zögerlich – was ein seltsamer Moment war. Es waren zwar deutlich mehr Frauen nominiert in diesem Jahr als in anderen Jahren. Aber beim Aufstehen haben sie doch ein bisschen Mühe bekundet.

Man weiss nicht, ob diejenigen, die Preise bekommen hatten, überhaupt noch im Saal waren. Das passiert immer wieder; die sind dann draussen und feiern mit Champagner. Es sind aber weniger Frauen aufgestanden als man erwartet hätte. Dann war die Stimmung im Saal aber schon ziemlich feierlich. Man hat tatsächlich applaudiert und gesagt: «Jetzt sind die Frauen da.» Also wenn es in den nächsten Jahren in Hollywood so weiter geht, wie es hier an den Oscars getönt hat, dann haben die Frauen ihren Durchbruch erlebt.

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