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Panorama Armstrongs Flucht nach vorne

Zuerst gab es Tränen. Dann sprach Lance Armstrong zweieinhalb Stunden mit Oprah Winfrey. Inhalt: Sein jahrelanger Doping-Missbrauch. Jetzt drohen Armstrong Prozesse. Doch vielleicht erhält er am Ende sogar noch Geld.

Das Bild ist acht Wochen alt. Lance Armstrong, ausgestreckt auf seinem Sofa. An der Wand hängen sieben gelbe Trikots. Jedes einzelne schön ausgeleuchtet. Sie stehen für seine sieben Siege an der Tour de France. Dazu twitterte Armstrong: «Zurück in Austin – Zeit zum Ausruhen…».

Einige Tage zuvor hatte ihm der Radsport-Weltverband (UCI) alle diese Siege aberkannt und ihn lebenslang gesperrt. Auf rund 1000 Seiten listete ein Bericht auf, wie Armstrong dopte. Und wie er trotz aller Gerüchte nie erwischt wurde.

Armstrong muss sich sehr sicher gefühlt haben. So sicher, dass er sogar den Gang vor Gericht wagte. Er klagte 2005 gegen die Versicherungsgesellschaft SCA Promotions. Diese hatte, wegen der Doping-Gerüchte, Prämiengelder zurückgehalten. Armstrong bekam Recht – und mehrere Millionen Dollar.

Mit dieser Selbstsicherheit scheint es nun vorbei. Am Montag entschuldigte sich Armstrong bei Mitarbeitern seiner Krebsstiftung. Armstrong habe mehrmals «um Fassung gerungen», so die Agentur AP. Einige Mitarbeiter hätten geweint.

Wenig später dann das Gespräch mit Talkerin Oprah Winfrey. Darin soll Armstrong Doping zugegeben haben. Etwas, was er zuvor unter Eid abgestritten hatte.

Ausgestrahlt wird das Interview am Freitag. Oprah Winfrey twitterte nach der Aufzeichnung: «Habe gerade zweieinhalb Stunden mit @lancearmstrong unter Dach und Fach gebracht. Er war VORBEREITET». Um später in einem Interview zu erklären: «Er hat nicht in der Art ausgepackt, wie ich es erwartet hatte.»

Forderungen von 60 Millionen?

Eines ist klar: Wenn Armstrong tatsächlich Doping zugegeben hat – in welchem Ausmass auch immer –, kommt auf seine Anwälte viel Arbeit zu. Sehr viel Arbeit.

Experten rechnen mit Schadenersatzklagen in Millionenhöhe. Forderungen von Sponsoren, aber auch von der UCI. Unter anderem muss Armstrong wohl die Preisgelder für alle sieben Tour-Siege zurückgeben.

Steht Armstrong vor dem Ruin? Das wohl nicht. Er soll ein Vermögen von rund 125 Millionen Dollar haben. «Spiegel Online» schätzt, dass sich die Zahlungen im schlimmsten Fall auf knapp 60 Millionen Dollar summieren könnten.

Armstrong, der Kronzeuge?

Die Schadenersatzklagen sind nicht alles. Armstrong droht ein Prozess wegen Meineids. Und dort könnte das Urteil Gefängnis sein. Es sei denn, Armstrong habe sich abgesichert und mit dem Justizministerium einen Deal ausgehandelt. Dieser könnte lauten: Straffreiheit oder eine reduzierte Strafe, gegen Informationen natürlich. Armstrong als Kronzeuge.

Einiges deutet auf einen solchen Deal hin. Armstrong plane, gegen Funktionäre des Radsport-Verbandes auszusagen, berichtete die «New York Times». Sie sollen von Armstrongs Doping gewusst haben. Wenn sie ihn nicht sogar schützten. Auch gegen Besitzer der Rennställe wolle der Texaner aussagen.

Bei der UCI gibt man sich wenig gesprächig. Man werde sich erst äussern, wenn das Interview ausgestrahlt sei. Aber: Stimmten die Medienberichte, solle Armstrong vor der Untersuchungskommission des Verbandes antreten.

Wird die Sperre verkürzt?

Wenn Armstrong es richtig macht, bekommt er in den Prozessen sogar Geld. Grund ist das amerikanische Recht. So genannte Whistleblower sind in den USA ziemlich gut geschützt.

Geht es um Missstände bei Regierungsstellen oder staatlichen Betrieben, stehen dem Whistleblower bis zu 25 Prozent des Schadenersatzes zu. Armstrong fuhr sechs seiner Tour-Siege im Trikot von US Postal heraus, und US Postal ist ein Staatsunternehmen.

Was bezweckt Armstrong mit seinem Geständnis? Möglicherweise will er nicht der einzige Sündenbock sein. Denn dass es keine Mitwisser gab, scheint schwer vorstellbar.

Ein weiteres Ziel könnte die Reduktion der lebenslangen Sperre der UCI sein. Travis Tygart, der Chef der US-Antidopingbehörde, soll interessiert gewesen sein. Vorausgesetzt, Armstrong helfe, die Hintermänner ans Messer zu liefern.

Und dann ist da noch Armstrongs Krebsstiftung Livestrong. Auch sie hat unter den Dopinggerüchten gelitten. Vielleicht erhofft er sich von einem Geständnis auch da einen Neuanfang.

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