Radio SRF: Auch nach Ankündigung der Reform bei cer NSA durch Präsident Barack Obama – das Daten-Sammeln geht weiter. Fühlen Sie sich noch sicher im Internet?
Viktor Mayer-Schönenberger: Nein. Zwar ist der Datenschutz ein ganz wichtiger Wert. Doch wir haben bisher keinen effektiven und effizienten Mechanismus entwickelt und gesetzlich verankert, der unseren Datenschutz ausreichend garantiert in dieser Zeit der grossen Daten.
Meist hat man lediglich zwei Optionen im Internet: Man kann Datenschutzbestimmungen akzeptieren, oder man kann sie ablehnen und den Dienst nicht nutzen.
Sie bringen die Problematik auf den Punkt. Das hat mit der Selbstbestimmung der Bürger sehr wenig zu tun. Hier müssen wir am Schutzmechanismus arbeiten. Ich glaube, wir müssen den Fokus anstatt auf die Datensammlung auf die Datenverwendung richten. Gerade bei der Verwendung von an und für sich völlig harmlos gesammelten Daten kann grosser Missbrauch betrieben werden.
Sie haben einen interessanten Vorschlag gemacht: Datennutzer wie Amazon sollen das Risiko und den Nutzen der Weiterverwendung von persönlichen Daten abschätzen. Wenn sie das Risiko falsch einschätzen, haften sie dafür.
In der Tat ist es so, dass wir in dieser neuen Zeit von Big Data die Verwender der Daten stärker in die Pflicht nehmen müssen. Und in unserem Rechtsstaat funktioniert das am besten über die rechtliche Haftung, die entsprechend scharf reguliert sein muss. Und es bedarf einer behördlichen Durchsetzung. Es geht also darum, die Risikoverantwortung zu verschieben, vom User zu den grossen Unternehmen, die daraus den wirtschaftlichen Nutzen ziehen.
Die Risikoeinschätzung ist ein vages Geschäft.
Mag sein, dass die Risikoabschätzung nicht einfach ist. Doch es gibt zahlreiche andere Bereiche, in denen Risiken täglich eingeschätzt werden müssen. Denken sie an Lebensmittel oder Arzneimittel, an die Automobilindustrie und Elektrogeräte. Überall dort müssen Risiken eingeschätzt werden, und das funktioniert nicht schlecht. Das kann doch auch auf die Verwendung von personenbezogenen Daten angewendet werden. Da können sich diejenigen, die den wirtschaftlichen Nutzen ziehen, auf die Dauer nicht aus der Verantwortung stehlen.
Sie finden, die Vorteile überwiegen die Nachteile. Warum?
Weil Big Data uns hilft, Entscheidungen des täglichen Lebens besser zu treffen, mit mehr Faktenmaterial. Und das ist gut. Das hilft uns als einzelne Menschen allen Bereichen, das hilft aber auch der Gesellschaft. Hier dürfen wir nicht das Kind mit dem Badewasser ausschütten und Big Data gänzlich verbieten.
Im Film «Minority Report» werden Menschen bereits bei der Prognose für ein Verbrechen verurteilt. Bereits heute wird an Flughäfen aufgrund der Farbveränderung im Gesicht auf die Herzfrequenz geschlossen, was beispielsweise Hinweise auf einen geplanten Terroranschlag liefern kann.
Das ist eine missbräuchliche Verwendung von Big Data. Mit Big Data können wir nur das «Was» analysieren, nicht das «Warum». In dem Moment, in dem wir beginnen, aus der Vorhersage Schuldzuschreibungen oder gar Strafen abzuleiten – wie es in den USA mitunter passiert – in dem Moment missbrauchen wir Big Data auf das Schlimmste. Das ist aber nicht das Problem von Big Data an sich, sondern von der Verwendung der Ergebnisse von Big Data.
Wie beurteilen Sie die Datensammlung der NSA?
Ich denke, dass wir als Gesellschaft bereit sein müssen, ein wenig mehr Freiheit zu wagen. Ein wenig mehr Freiheit bedeutet auch ein bisschen mehr Risiko. Und es würde unserer Gesellschaft gut tun, ein bisschen mehr zu wagen und damit vielleicht die einen oder anderen Auswüchse von Big Data in die Schranken zu weisen.
Das Interview führte Peter Voegeli.