Braunau am Inn ist ein Städtchen in Oberösterreich, mit einem schmucken mittelalterlichen Ortskern, 16'000 Einwohnern und eine nahe Grenze zu Bayern. Es hat eine aktive Vereinskultur – von der Alzheimerhilfe über den Musik-, Tierschutz- und Tennisverein bis hin zu Deutschkursen für Flüchtlinge.
Städtchen mit schwerem Erbe
Die Bezirkshauptstadt hat sich das 21. Jahrhundert auf die Fahne geschrieben: Es gibt Projekte zur Nachhaltigkeit und Umweltschutz, das Bekenntnis zu Fairtrade.
Es gibt Kleinkunst, Restaurants, hübsche Kaffeehäuser, ein Bezirksmuseum und eine historische Badestube.
Doch viele Besucher interessiert nur eines: Dass Adolf Hitlers Geburtshaus hier steht, an der Salzburger Vorstadt 15.
- 1889 : Adolf Hitler wird am 20. April als viertes von sechs Kindern geboren, drei von ihnen sterben früh. Die Mutter vergöttert den Jungen, der Vater ist gewalttätig und trunksüchtig. Im Erdgeschoss des Wohnhauses ist ein Wirtshaus, wie es seit dem 17. Jahrhundert eines gibt. Hitler lebte nur kurz im Haus – als er drei Jahre alt ist, zieht die Familie aus Braunau weg. Besitzer des Hauses ist das Wirtepaar Franz und Helene Dafner.
- 1912 kauft die Familie Pommer die Immobilie.
In der Zwischenzeit ist Adolf Hitler erwachsen – aus dem erfolglosen Maler aus Oberösterreich ist der Diktator des Dritten Reichs geworden.
- 1938 : Das Haus wird nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich von Hitlers Vertrautem und NSDAP-Grösse Martin Bormann zu einem hohen Preis gekauft. Es entsteht darin ein nationalsozialistisches Kulturzentrum mit Galerie und «Volksbücherei». Die Initialen MB stehen noch heute am Tor.
- 1945 : Braunau wird von US-Truppen besetzt. Die Nazis versuchen, das Gebäude zu sprengen, was aber von den US-Soldaten verhindert wird. Kurz nach dem Krieg organisieren diese eine Gedenk- und Mahnausstellung über die Konzentrationslager.
Bibliothek, Schule, Behindertenwerkstatt – und Zankapfel
- 1952 wird die Salzburger Vorstadt 15 von der Familie Pommer zu einem kleinen Preis zurückgekauft. Bis 1965 wird das Haus als städtische Bibliothek benutzt, danach für kurze Zeit als Bank.
- Von 1970 bis 1976 bezieht die Höhere Technische Lehranstalt (HTL) Braunau das Gebäude, es wird als Schule benutzt. 1972 wird das österreichische Innenministerium zum Mieter. Untermieterin wird die Stadt Braunau. Im Mietvertrag hält die Erbin Gerlinde Pommer fest, dass eine «Nutzung im historischen Kontext» ausgeschlossen ist – das heisst, ein Museum oder eine Gedenkstätte ist nicht möglich.
- Zwischen 1977 und 2011 beherbergt das Gebäude eine Behindertenwerkstätte der Lebenshilfe Österreich.
Für Frieden, Freiheit und Demokratie / Nie wieder Faschismus / Millionen Tote mahnen
- 1989 : Vor dem Haus wird ein Gedenkstein mit der Inschrift «Für Frieden, Freiheit und Demokratie / Nie wieder Faschismus / Millionen Tote mahnen» aufgestellt – kurz vor Hitlers 100. Geburtstag. Das Material stammt aus dem Steinbruch des KZ Mauthausen. Zum ersten Mal distanziert sich Braunau offiziell vom «Hitlertourismus». Ursprünglich war eine Tafel an der Gebäudewand geplant – doch die Besitzerin verweigert dies. Pommer fürchte sich vor Anschlägen, heisst es.
Späte Aufarbeitung der Geschichte
Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte des Ortes passiert spät – wie in ganz Österreich. Seit den frühen 1990ern gibt es die Braunauer Zeitgeschichte-Tage, die jährlich Veranstaltungen zu politischen und gesellschaftlichen Themen durchführen.
2006 wird ein Park nach dem von den Nazis ermordeten Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter benannt. Im Bezirk werden mehrere «Stolpersteine» angebracht und Strassen umbenannt – in Andenken an die Opfer der Nationalsozialisten: Juden, Kommunisten, Behinderte, Sinti und Roma. Für Fahrende wird in Braunau ein Rastplatz eingerichtet.
- 2011 entzieht Braunau Adolf Hitler offiziell die Ehrenbürgerwürde. Diese war ihm in den 1930ern von der mittlerweile eingemeindeten Ortschaft Ranshofen verliehen worden. Die Behindertenwerkstadt zieht aus der Salzburger Vorstadt 15 aus – die Besitzerin wollte keine behindertengerechten Investitionen tätigen. Seither steht das Haus leer.
- 2012 will der russische Duma-Abgeordnete Franz Adamowitsch Klinzewitsch zwei Millionen Euro sammeln, um das Haus zu kaufen und es abzureissen. Doch das Gebäude steht unter Denkmalschutz – nicht wegen Hitler, sondern wegen der 500 Jahre alten Bausubstanz.
Dieses Haus darf niemals eine Wallfahrtstätte für Ewiggestrige werden.
In der Öffentlichkeit entsteht in der Folge eine stärkere Diskussion über die weitere Nutzung. Der Vorschlag des Bürgermeisters, ein normales Wohnhaus daraus zu machen, stösst auf Widerstand. Die Braunauer sorgen sich, dass dies eine «falsche Klientel» ansprechen könnte.
Heute sind die Würfel gefallen: Das Hitler-Haus wird enteignet. Der Staat hatte sich mit der Besitzerin nicht auf eine Nutzung des seit Jahren leerstehenden Gebäudes einigen können. Die Frau soll nun aber entschädigt werden.
(Sendebezug: SRF 4 News, 12.07.2016, 15.00 Uhr)