Maracanã! Allein das Wort elektrisiert Fussball-Fans und -Spieler weltweit. «König» Pelé erzielte hier sein 1000. Tor, Garrincha, Zico, Sócrates, Romário und Ronaldo verzauberten in diesem Fussball-Tempel die Massen. Das Maracanã ist ein Sehnsuchtsort und von Mythen umrankt wie kein anderes Stadion.
Das Maracanã, wie es die Brasilianer kannten und liebten, ist tot. Den «Mord am Maracanã», wie es eine Zeitung nannte, haben die Brasilianer selbst begangen. Sie haben ihren Tempel entweiht.
Der Mythos
Das Maracanã war von Anfang an mehr als nur ein Fussball-Stadion. Erbaut für die WM 1950, sollte es ein Denkmal der neuen Grösse Brasiliens sein, ein Versprechen für die Zukunft. Benannt nach einer Papageienart und einem gleichnamigen Bächlein, das hinter der Tribüne plätschert, wurde sein Standort nicht zufällig gewählt: An diesem Rinnsal trafen reicher, weisser Süden und armer, schwarzer Norden aufeinander. Ein Stadion als Schmelztiegel.
Die Architektur war ein Symbol für die junge Demokratie: Im Rund sollte jeder gleich gute Sicht auf den Rasen haben. Das Maracanã war egalitär, nicht elitär. Ein Ort des Volkes. Jetzt, nach der Renovierung für die WM, ist es für viele ein Ort für VIPs. Manche hatten Tränen in den Augen, als sie die runderneuerte Arena erstmals betraten.
Sein Ende
Das neue Maracanã hat eine Aura wie das neue Wembley oder die Allianz Arena - mächtig, aber irgendwie kalt. Der Mythos ist zur leeren Hülle verkommen. Bunte Schalensitze sollen Fröhlichkeit ausstrahlen; sie haben die Stehplätze verdrängt. Vor den neuen Logen sitzen die Schönen und Reichen in schweren Sesseln und schlürfen Champagner.
Die Befürchtung, dass sich der gemeine Fan nach dem 420 Millionen Euro teuren Umbau keine Karte mehr würde leisten können, ist allerdings nicht eingetreten. Beim Derby zwischen Flamengo und Fluminense (Fla-Flu) am 11. Mai war das billigste Ticket für 30 Reais (zehn Euro) zu haben. Früher, maulen manche Fans, hätten sie für die Stehplätze hinter den Toren fünf Reais bezahlt. Ausserdem seien grosse Fahnen und Trommeln verboten, statt heimischer Kost gibt es amerikanische Hotdogs.
650 Familien umgesiedelt – Für Parkplätze
Die Verantwortlichen weisen die Kritik zurück. Man hätte das Maracanã den Erfordernissen des modernen Fussballs anpassen müssen. Aus der Vogelperspektive sehe es noch fast aus wie früher, sagte Bauleiter Ícaro Moreno. Und die Privatisierung nach der WM, die viele empörte? «Das Stadion wird nur privat betrieben, es gehört dem Staat.»
Sepp Blatter spürt im Maracanã noch «den alten Geist». Dabei war Blatters Fifa mitverantwortlich beim Austreiben desselben. Für die vom Weltverband geforderte Anzahl an Parkplätzen musste eine Favela weichen. 650 Familien - umgesiedelt. Das erste Indianer-Zentrum in Lateinamerika, einen Steinwurf entfernt, wurde zwangsgeräumt.
Fla-Flu wollten nur 26'178 zahlende Zuschauer sehen. Bei normalen Ligaspielen sind es noch weniger, die Stimmung ist schlechter als bei manchem deutschen Fünftligakick.
Nur wenn Brasilien spielt, ist wie beim Confed-Cup-Finale 2013 Feuer unter dem neuen Dach. Während die Seleção drinnen Spanien verprügelte, riefen draussen ein paar Leute: «O Maraca é nosso!» Das Maracanã gehört uns. Das war einmal.