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Panorama Die Schneeflockenzüchter

Schneeforscher müssen erfinderisch sein: Kaum fasst man die weisse Pracht an, schon ist sie nicht mehr dieselbe. Trotz den schwierigen Bedingungen haben die Forscher in Davos eine Vision. Sie wollen ein mathematisches Modell für die Lawinenwarnung entwickeln. Eine Reportage.

Schnee als Forschungsobjekt

Der Weg ins Schneelabor des Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos ist verschneit. Zwei Männer schaufeln die weisse Pracht auf einen Haufen. Hier könnte sich Schneeforscher Henning Löwe massenhaft bedienen. Tut er aber nicht. Er züchtet Schnee lieber im Labor. «Wir versuchen, die Prozesse die man in den Wolken hat, nachzubilden», sagt Löwe.

Und zwar mit Hilfe einer Schneemaschine, so gross wie eine Offsetdruckmaschine. In einem Kasten wird Luft über warmes Wasser geblasen, Wasserdampf entsteht und der wird in eine andere Kammer voller Nylonfäden geleitet.

«An diesen Fäden wachsen dann die Kristalle. Das Besensystem erntet diese und sammelt die Kristalle unten in der Box», sagt Löwe. Das Resultat sei eine Art Pulverschnee.

Kleine Ernte

Einen Zehntel Kubikmeter Pulverschnee erntet Löwe pro Tag. Ein Bruchteil dessen, was die Männer draussen zusammen schaufeln. Aber dafür hat er immer die gleiche Konsistenz. Nur dann macht Schneeforschung Sinn.

Denn der Schnee ist ein komplexes Produkt aus Temperatur und Wasserdampf. «Seine Geschichte ist extrem unterschiedlich. Schnee in sehr trockenen Gebieten hat kleine Kristallformen. Der feuchte Schnee aus Japan sehr grosse Schneeflocken», erklärt Löwe. Deswegen seien Proben auch so verschieden, was die Forschung erschwere.

Warum entstehen Lawinen?

Schneekristalle

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100 Trillionen Moleküle hat ein Schneekristall, das sind drei Millionen Mal mehr als es in der Milchstrasse Sterne gibt. Jeder Schneekristall ist einzigartig, wie ein eigenes Universum. Eines haben sie gleich: Sie sind alle sechseckig. Je nach Druck und Temperatur können sie als Nadeln, Säulen, Becher, Plättchen und Sterne auftreten.

Henning Löwe öffnet die Tür zum beheizten Kontrollraum. Auf dem Computer zeigt der Schneeforscher ein Film über die Geburt von Becherkristallen. «Diese entstehen bei starken Temperaturunterschieden.» Unten warm, oben kalt. «Daraus entwickelt sich diese Schicht mit besonderen Eigenschaften. Die Schneedecke wird instabil.»

Mechanisch instabil ist gleichbedeutend mit Lawinengefahr. In den kleinen, gezüchteten Schneeproben möchte Löwe nachmessen, warum in der grossen Natur draussen Lawinen entstehen. Die Vision: Aus dem winzigen Experiment im Kältelabor soll am Ende ein mathematisches Modell für die Lawinenwarnung entstehen – vergleichbar mit jenen, die hinter Wettervorhersagen stecken.

Anderes Bild vom Schnee

«Wir versuchen auf dieser Skala von wenigen Zentimetern zu verstehen, wie dieser Zusammenhang zwischen der Mikrostruktur und den physikalischen Eigenschaften aussieht», sagt Löwe. Seine Kollegen beschäftigen sich mit den Unterschieden in der Schneedecke im Bereich von mehreren zehn Zentimetern und Metern. Und am Ende wird man sagen können, wo die wichtigsten Einflüsse liegen.

Die Experimente in den letzten Jahren haben bereits jetzt ihre Spuren hinterlassen. Löwe: «Unser Bild vom Schnee hat sich fundamental geändert!»

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