SRF News: Erstmals finden an einem Karfreitag Fussballspiele statt. Wie finden Sie das?
Andreas Nufer: Der Karfreitag hat eine jahrhundertealte Bedeutung. Es stehen dabei Themen wie das Leiden, die dunklen Seiten des Lebens, das Sterben und der Tod im Raum. Da finde ich es angebracht, wenn man etwas stiller und vielleicht nachdenklicher ist. Man sollte nicht jedem Anlass gleich Platz machen.
Sie sind selber ein Fussballfan – sie würden am Karfreitag aber trotzdem nicht ins Stadion gehen?
Eher nicht, nein.
Die Bedeutung des Karfreitags hat sich in den letzten Jahren ja verändert: Kinos haben geöffnet, teilweise auch Geschäfte. Wie erklären Sie sich diese Veränderung?
Das Individuum hat in den letzten Jahrzehnten in ganz Europa eine viel grössere Bedeutung erhalten. Dadurch haben die Kirche und alle Institutionen, die das Kollektiv bearbeiten, an Bedeutung verloren.
Wie ist denn die Stimmung an der Basis, bei den Gläubigen? Können sie mit diesen Veränderungen umgehen oder trauern sie den früheren Zeiten nach?
Viele Leute, die am Karfreitag in die Kirche kommen, finden es sinnvoll, dass man auf das Leiden schaut. Sie sagen, es sei schwierig, sich mit dem Sterben von Kindern auseinanderzusetzen oder nach Syrien zu schauen. Das sei fast nicht auszuhalten. Doch es mache Sinn, sich auch diesen ganz schwierigen Themen persönlich zu stellen. Deshalb sind dies die Themen des Tages und deshalb kommen die Menschen am Karfreitg in den Gottesdienst. Ich glaube, sie nehmen gar nicht wahr, dass andere Fussball schauen oder ins Kino gehen. Dass man auch an diesem Tag noch etwas Spassgesellschaft haben muss, entspricht ganz einfach nicht ihrem Rhythmus.
Was sagen Sie zu den politischen Bemühungen in einigen Kantonen, das karfreitägliche Tanzverbot zu lockern? Können Sie damit leben?
Ich kann damit sicher leben. Ein bisschen eine andere Frage ist, ob ich dies gesellschaftspolitisch und persönlich sinnvoll finde. Ich tanze sehr gerne, ich schaue gerne Fussball und trinke gerne ein Bier oder ein Glas Wein.
Ich habe gern Feste und finde sie auch wichtig. Doch ich habe ebenfalls das Bedürfnis, nicht alles nur alleine zu machen. Deshalb finde ich, dass der Gesetzgeber das Kollektiv, die Kultur und die Tradition ein wenig schützen muss – nicht aus moralischen Gründen.
Diese Feiertage kommen ja aus dem Kulturkampf: Im katholischen Wallis ist am Karfreitag überhaupt nichts geschlossen, alle arbeiten, alles ist möglich. Man hat sich mit dieser Entscheidung damals gegen die Reformierten stellen müssen; etwa so, wie im reformierten Appenzell Ausserrhoden an Frohnleichnam alle Bauern die Gülle ausbringen. Das hat nichts mit gutem Dünger oder Reformiertsein zu tun, sondern man will den Katholiken eins auswischen.
So ist die Schweiz im 19. Jahrhundert ausbalanciert worden und so ist sie entstanden. Doch diese Zeiten sind vorbei, das brauchen wir nicht mehr. Wir brauchen auch nicht diese ganze Moral dieser Tage. Es muss auch nicht unbedingt religiös aufgeladen werden; doch dass das Jahr einen Rhythmus für alle hat, und dass es für alle Pausen gibt, macht für eine Kultur sehr viel Sinn. Wir haben das ja nicht selber erfunden. Das ist jahrtausendealt und das machen alle Kulturen so.
Das Interview führte Daniel Eisner.