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Panorama Marmorabbau in Carrara – viel Wirtschaft und wenig Kunst

Schon Michelangelo schuf aus dem edlen Stein seine Skulpturen: Mit dem weissen Marmor aus Carrara, im Norden der Toscana. Inzwischen findet nur noch wenig Marmor künstlerische Verwendung; viel davon landet gemahlen als Pulver in Kosmetika, Zahnpasten oder Abluftfiltern.

Marmor-Bergwerke in Carrara

«Carrara, oh du Hochburg des weissen Marmors. Hier, wo wir Arbeiter im Schweisse unseres Angesichts dich aus dem Felsen schlagen.» So lautet eine der heroisierenden Passage in einem alten Volkslied aus Carrara in der Toskana, wo der weltberühmte weisse Marmor seit Jahrhunderten abgebaut wird.

Doch bei allem Stolz der Arbeiter auch heute noch über den Marmor, die Arbeit am Berg ist hart und schlecht bezahlt. Die Gefahren von früher, riesige Marmorblöcke, die Männer zerquetschten oder ausgehöhlte Kavernen, die einbrechen, gibt es heute dank der Technik nicht mehr.

Viel Technik beim Marmorabbau

Dafür andere, wie die Diamantseile, mit denen die Marmorblöcke aus dem Berg gesägt werden. Pro Meter Seil können bis zu 60 Tonnen Druck auf die Marmoroberfläche ausgeübt werden. Aber manchmal lösen sich die Industriediamanten aus ihren Halterungen in den Hartmetallperlen am Stahlseil und fliegen wie Geschosse durch die Luft. Sie können tödlich sein.

Wer sich von weitem den Bergen der Apuanischen Alpen bei Carrara in der Toskana nähert, glaubt, sie seien schneebedeckt. Erst aus der Nähe sieht man die riesigen Wunden, welche die rund 80 Abbaufirmen der Bergkette zugefügt haben. Im Inneren sind die Berge ausgehöhlt und gross wie Kathedralen.

«Dafür opfern wir unsere Berge»

Mario Venutelli von Italia Nostra, dem italienischen Heimatschutz, ist ein vehementer Kritiker des Marmorabbaus. Denn nur 20 Tonnen Marmor finden jährlich Verwendung in den Kunstwerkstätten. Eine Million Tonnen wird zu Bodenplatten und Bordsteinen verarbeitet. Und der allergrösste Teil, vier Millionen Tonnen, wird einfach gemahlen und landet wegen seiner feinen Konsistenz in der Kunststoffindustrie, in Abluftfiltern, ja sogar in der Kosmetikindustrie und in Zahnpasten. «Dafür opfern wir unsere Berge», bedauert Venutelli.

Angelo Zubbani, der Bürgermeister von Carrara, gibt den Umwelt- und Heimatschützern teilweise Recht. In der Vergangenheit sei zu viel Marmor einfach herausgebrochen und exportiert worden, ohne dass er in Carrera verarbeitet worden wäre. Dank neuen Anreizen sei diese Tendenz gebrochen worden. Vor allem junge Unternehmer gäben sich Mühe, den Marmor selber zu bearbeiten. Das habe einige Arbeitsplätze geschaffen, aber man sei noch weit entfernt von einem Idealzustand.

Wirtschaftsfaktor Marmor-Bergwerke

Früher arbeiteten 10‘000 Männer in den Steinbrüchen von Carrara. Heute sind es vielleicht noch 800. Sie brechen aber ein Mehrfaches aus den Bergen als noch vor 60 Jahren.

Zudem bezahle ein grosser Teil der rund 80 Steinbruch-Unternehmen die Steuern nicht. «Sie geben mehr Geld aus für Anwälte, um unsere Steuerrechnungen anzufechten. Das zeigt, dass sie lange Zeit tun und lassen konnten, was sie wollten.»

Die Forderung der Umwelt- und Heimatschützer, den Marmor-Abbau massiv zu drosseln, um die Bergwelt zu erhalten, hat aber keine Chance. Der Marmor zusammen mit der Maschinenindustrie, dem Transportwesen und dem Hafen gibt über 10‘000 Menschen Arbeit. Und darauf kann man in Italien nicht verzichten.

Fotos und Reportage von Massimo Agostinis

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