SRF News: War der Beruf des Schafhirten vor zwölf Jahren, als Sie angefangen haben, noch mehr ein Männerberuf als heute?
Riccarda Lüthi: Sicher hat es auch damals schon Frauen gegeben, die als Schafhirtinnen arbeiteten. Aber die Mehrheit der Schafhirten sind Männer – damals wie heute. Immerhin: Im neusten Ausbildungskurs, der im vergangenen November angefangen hat, nehmen mehr Frauen als Männer teil. Trotzdem ist es wohl verfrüht, von einer allgemeinen Tendenz zu sprechen.
Was macht den Beruf der Schafhirtin für Frauen attraktiv?
Ich bin nicht sicher, ob bei der Motivation für die Ausbildung ein grundlegender Unterschied zwischen Frauen und Männern besteht. Attraktiv am Beruf ist sicher, dass man – etwa auf einer Alp – sein eigener Chef oder eigene Chefin ist. Motivierend wirkt auch die Arbeit in direktem Zusammenspiel mit der Natur und den einem anvertrauten Tieren.
Mit der Rückkehr von Wolf und Bär ins Alpengebiet braucht es wieder vermehrt Schafhirte. Hat dies den Beruf auch intressanter gemacht?
Tatsächlich ist die Zahl der behirteten Alpen in den letzten zehn Jahren angestiegen, es werden auch vermehrt ausgebildete Hirten gesucht. Insofern ist es attraktiv, sich zum Schafhirten ausbilden zu lassen.
Seit 2009 gibt es die Schafhirten-Ausbildung in der Schweiz. Was sind das für Leute, die sich im Wallis ausbilden lassen?
Die meisten von ihnen haben bereits einen Berufsabschluss. Die Teilnehmergruppe ist sehr durchmischt, es hat sehr junge aber auch gestandene Semester. Auch der berufliche Hintergrund ist verschieden. Manche bringen relativ viel Erfahrung in der Landwirtschaft mit, hatten aber noch kaum mit Schafen und der Alpschafung zu tun. Andere stammen aus ganz anderen Berufen, wie der Pflege oder dem Sozialen.
Eine Hirtin arbeitet alleine in der Natur, fernab der Zivilisation. Spielt beim Entscheid, Hirtin oder Hirte werden zu wollen, auch eine gewisse Romantik mit hinein?
Die Vorstellungen der einzelnen Ausbildungsteilnehmer sind zu Beginn sehr unterschiedlich. Romantik spielt dabei sicher auch eine Rolle. Allerdings versuchen wir in der Ausbildung, möglichst realistisches Grundlagenwissen zu vermitteln. Zentral bei dem Lehrgang ist denn auch ein zweimonatiges Praktikum auf einer Alp, in dem Praxis gesammelt wird.
Gibt es auch Teilnehmer, die erst dann realisieren, worum es beim Job des Alphirten überhaupt geht?
Ja. Es kommt manchmal vor, dass ein Praktikum abgebrochen wird, weil jemand merkt, dass es doch nicht das ist, was er will oder was sie sich vorgestellt hat.
Als Schafhirte ist man den ganzen Tag draussen, bei jedem Wetter. Ausserdem ist die Arbeit körperlich sehr anstrengend. Haben es Frauen deshalb schwerer?
Nicht grundsätzlich. Die Arbeit ist nicht nur körperlich, sondern auch psychisch eine grosse Herausforderung, weil man Tag für Tag auf sich allein gestellt ist. Und da stehen die Frauen den Männern in nichts nach. Allerdings ist es schon so, dass eine gesunde Konstitution und ein starker Rücken von Vorteil sind – angesichts der körperlichen Herausforderungen, etwa beim Hantierten mit schwerem Gerät oder verletzten Tieren. Wichtig ist dabei auch eine gute Technik.
Die Vorstellung ist also richtig, dass die Arbeit des Schafhirten ein einsamer Beruf ist?
Ja. Als Schafhirte ist man meist allein auf der Alp. Es ist deshalb wichtig, sich dies auch schon im Vorfeld plastisch vorzustellen. Man ist mit den Tieren allein, trägt die volle Verantwortung und am Abend in der Hütte herrscht einsame Stille. Da empfiehlt es sich, ein Buch oder ein Radio mit einzupacken.
Das Gespräch führte Andrea Christen.