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Panorama «Öffentliches Lachen führt zu Sittenzerfall»

Die türkische Gesellschaft sei verdorben und müsse wieder tugendhafter werden. Der türkische Vizeminister Bülent Arinc beklagt einen allgemeinen Sittenverfall im Land. Deshalb will er den Frauen das Lachen verbieten. Der Journalist Thomas Seibert in Istanbul sagt, was genau Arinc am Lachen so stört.

SRF: Was genau beanstandet Bülent Arnic, Stellvertreter von Ministerpräsident Erdogan?

Thomas Seibert: Arinc äusserte sich bei einer Feier zum Ende des Fastenmonats Ramadan vor Anhängern. Dabei sprach er über den Sittenzerfall. Den macht er fest an steigendem Drogenkonsum, an Gewalt gegen Frauen, an Freizügigkeit bei Fernsehshows. Das alles führe zu einer Sexabhängigkeit, besonders bei der Jugend. Als Gegengift empfahl Arinc islamische Werte: Die Türken sollten wieder vermehrt den Koran lesen. In diesem Zusammenhang sagte er auch, Frauen sollten ihre Reize nicht öffentlich zeigen und in der Öffentlichkeit nicht lachen.

Was ist denn am Lachen lasterhaft?

Das verstehen Arinc und seine konservativen Anhänger als unislamische und nicht sittsame Anmache. Arinc sage auch, er wünsche sich Frauen und Mädchen, die sittsam die Augen niederschlagen würden, wenn sie einen Mann ansehen: Also ein ziemlich antiquiertes Frauenbild, das zu einer modernen Gesellschaft nicht so richtig passt.

Also auch frei nach dem Motto: Früher war alles besser als heute?

Das ist richtig. Das spielt eine wichtige Rolle. Arinc ist 66 Jahre alt. Er steht am Ende seiner politischen Karriere. Vieles von dem, was er sagte, kann man einordnen unter die Rubrik «Ein alter Mann beklagt die guten alten Zeiten.» Er kritisierte etwa auch, den Hang vieler Frauen stundenlang am Handy zu telefonieren. Da werde nur getratscht. Das habe es früher nicht gegeben.

Thomas Seibert

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Der Journalist Thomas Seibert ist USA-Korrespondent des «Berliner Tagesspiegels». Zuvor berichtete er während 20 Jahren für verschiedene Zeitungen und Radiosender aus der Türkei.

Wie reagieren die türkischen Frauen auf diese Äusserungen?

Die Reaktionen spielen sich an zwei Orten ab: einerseits im Internet, andererseits auf der Strasse. Es gab schon die erste sogenannte Lachdemonstration von Frauen; Frauen kamen zusammen, stellten sich auf einen Platz in der Stadt und lachten. Gleichzeitig veröffentlichen sehr viele türkische Frauen in den sozialen Medien Fotos, die sie lachend zeigen.

Am 10. August sind Präsidentschaftswahlen in der Türkei. Schadet diese Idee Ministerpräsident Erdogan, der antritt, wenn sein Vize mit solchen Äusserungen von sich Reden macht?

Es ist zumindest erkennbar, dass die ganze Sache der Regierung peinlich ist. Im Regierungslager schweigt man betreten. Die regierungsfreundliche Presse ignoriert das Thema. Der Rest der Presse hat es hingegen auf der Titelseite ihrer Blätter platziert. Ich glaube aber nicht, dass die Sache Erdogan gross schaden wird bei der Präsidentschaftswahl. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die islamisch konservative Anhängerschaft des Premiers, die ihn ohnehin wählen wird, sich jetzt wegen Arinc von ihm abwendet. Ich glaube, an den Kräfteverhältnissen in der Türkei ändert sich nichts. Erdogan liegt mit etwa 55 Prozent bei den Umfragen weit vorne. Ich denke, dass er sich wegen Arinc seltsamen Äusserungen keine grossen Sorgen machen muss.

Das Interview führte Karin Britsch.

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