Kristy Milland war von Anfang an dabei. Seit neun Jahren loggt sie sich regelmässig auf «Mechanical Turk» ein und wählt Aufträge aus: Sie verschriftlicht zum Beispiel eine Audiodatei oder entziffert die verblichene Schrift auf einem Kassenzettel.
50'000 Dollar im Jahr
Sie ist eine von schätzungsweise einer halben Milliarde Menschen weltweit, die auf dieser von Amazon geführten Crowdsourcing-Plattform Geld verdienen. Im besten Jahr brachte die Kanadierin damit 50'000 US-Dollar ein. Es sei kein Job mit regelmässigen Arbeitszeiten, erzählt Milland. «Manchmal heisst es: Am Computer sitzen, ins Bett gehen, aufstehen, am Computer sitzen.»
Sie fing damit an, weil sie neugierig war und als junge Mutter zwischendurch Zeit hatte. Als ihr Ehemann seine Stelle verlor, begann sie Vollzeit auf «Mechanical Turk» Arbeiten auszuführen und hielt damit die Familie finanziell über Wasser.
So viel wie sie könne man aber nur verdienen, wenn man das System bestens kenne, erzählt Milland weiter. Laut verschiedenen Berichten verdient man im Schnitt zwei Dollar pro Stunde auf Mechanical Turk. Kristy Milland gefällt nicht, wie Amazon die Internetarbeiter behandelt. «Amazon verkauft uns wie einen Algorithmus», sagt sie.
«Aber wir sind Menschen.» Amazon verkaufe die Arbeit an Menschen, die keine menschliche Interaktion wünschten. «Sie geben ihre Aufträge einfach ein und wollen nicht darüber nachdenken, wer auf der anderen Seite sitzt», sagt sie. Für die Arbeiter sei das schlecht.
Den Menschen ein Gesicht geben
Also startete Milland eine Kampagne: Menschen schreiben dem Amazon-Gründer ihre Geschichte. Den Menschen, die so arbeiten wie sie, will sie so ein Gesicht geben. Milland hofft, dass sie mehr Wertschätzung gewinnen, eine stärkere Vertretung auf der Amazon-Plattform erhalten – und letztlich mehr Geld verdienen.
«Wir wollen eine Stimme haben in der Diskussion um Crowdwork. Bisher waren wir unsichbar.» Ob ihre Forderungen erhört werden, ist noch offen. Amazon beantwortet keine Anfragen dazu.
Mechanical Turk ist nur eine der vielen Plattformen für Crowdsourcing. Eine andere, die in Deutschland angesiedelte Plattform Clickworker, beschäftigt laut eigenen Angaben 700'000 Menschen in über hundert verschiedenen Ländern. Auch sie vermittelt eher einfachere Jobs.
Am anderen Ende des Spektrums schreiben grosse Firmen wie Roche über Plattformen wie Innocentive technische und wissenschaftliche Arbeiten aus für Zehntausende Dollars.
«Es ist einfacher und billiger»
Niloufar Salehi untersucht an der Universität Stanford in Kalifornien das Phänomen des Crowdsourcing. Es erlaube Firmen den Zugriff auf eine anonyme Arbeitergruppe, die allzeit bereit steht.
«Sie erhalten Datenverarbeitung sofort und müssen sich nicht um Anstellung kümmern», sagt die Expertin. «Es ist einfacher und billiger.»
Salehi geht davon aus, dass sich Crowdsourcing weiter ausbreiten wird. Und bald für manche Menschen der einzige Weg sein wird, Geld zu verdienen, wenn Stellen rar sind.
Das schafft neue Herausforderungen, denn die Internet-Arbeit bringe auch Nachteile mit sich, sagt Forscherin Salehi. Mitunter seien die Arbeiten von schlechter Qualität. Für die Arbeiterinnen und Arbeiter gebe es zudem oft nur mickrige Löhne. Einfluss auf ihre Arbeitsbedingungen hätten sie nicht.
Es gelte deshalb, diese moderne Form von Arbeit zu organisieren, damit sie ein Auskommen sowie berufliche Entwicklung ermögliche und nicht ins Prekariat führe. Das sei letztlich auch im Interesse der Firmen, die Crowdsourcing beanspruchen.