Wie bekommt man perfekt rote Lippen? Im Video zeigt Reshma Qureshi wie's geht: Erstens: Mit einer Zahnbürste die Lippen reinigen. Das entfernt tote Haut. Zweitens: Pomade. Das schützt sie vor dem Austrocknen. Als nächstes fährt man mit dem Lipliner den Konturen entlang und erst dann kommt der perfekt rote Lippenstift.
Kampagne für ein Säure-Verbot
Reshmas Video ist nicht Schminkwerbung. Die linke Augenhöhle der 19-jährigen Inderin ist leer, das Augenlid zugeklebt. Ihr Gesicht sieht aus, als ob Plastilin von ihrer Stirn über die linke Gesichtshälfte herunterläuft. Vor zwei Jahren hat ihr Schwager Säure über sie geleert.
«Diese Säure», sagt Reshma im Video, «ist in Indien genauso einfach erhältlich wie jeder Lippenstift». Ihre Kampagne für den Stopp des Verkaufs von Säuren wurde im Internet knapp zwei Millionen Mal angeklickt.
Nur mit einem rigorosen Verbot könne verhindert werden, dass andere Frauen – und auch Männer – dasselbe durchmachten wie sie, sagt Reshma im Gespräch. Sie setzt dabei nicht ihre persönliche Geschichte ins Zentrum. Es geht ihr um die Sache.
Hunderte Säureattacken – jedes Jahr
Die Schätzungen über die Anzahl der Säureattacken gehen weit auseinander. Moderate Studien gehen allein in Indien von etwa 100 Fällen pro Jahr aus. Doch das Phänomen ist nicht indienspezifisch. Im ganzen südasiatischen Raum kommt es immer wieder zu Überfällen: Bangladesch, Pakistan, Afghanistan, Kambodscha – und auch im Mittleren Osten und Lateinamerika. Meist geht es um Familienstreitigkeiten, Ehen, Scheidungen, oder wie im Fall von Reshma ums Sorgerecht.
Die junge Inderin will den von den Attacken betroffenen Menschen ein Gesicht geben. Deshalb gehe sie nun nach New York: «Viele Opfer von Säureattacken verstecken ihr Gesicht hinter dem Sari. Aber wir haben doch nichts falsch gemacht. Wir müssen uns nicht verstecken.» Doch zu dieser Erkenntnis gelangte Reshma erst nach einiger Zeit.
Fashion Week als Plattform für ihr Anliegen
Neun Monate lang traute sie sich nicht mehr aus ihrem Zimmer, sie wollte sich umbringen. Wer sie zu Gesicht bekam, starrte sie bloss an. «Doch die Leute sollen uns nicht anstarren, sondern normal ins Gesicht schauen», sagt Reshma. «Das können sie aber erst dann, wenn sie sich gewohnt sind, ein Gesicht wie meines anzusehen.» Die Fashion Week in New York sei eine gute Plattform, meint Reshma: Nur so würden die Leute beginnen, sie zu akzeptieren, wie sie sei.
Dass sie selbst auch noch immer Mühe damit hat, sieht man, wenn sie Bilder von sich aus ihrem Leben vor dem Säureanschlag anschaut. Im grossen Familienalbum zeigt Reshma mit dem Finger jedes Mal auf sich, als ob man sie anders nicht erkennen würde. Nun verlässt sie Indien zum ersten Mal, um über den Laufsteg der New York Fashion Week zu gehen.
Dort erwartet sie eine gigantische Show, die Geschichten wie ihre auch nutzt, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten. Fühlt sie sich nicht benutzt? «Nein, ich sehe den Auftritt als Chance», antwortet Reshma auf die Frage. Allerdings hat sie, die in einem Slum in Mumbai lebt, noch keine Vorstellung von der Fashion Week. Trotzdem spielt sie schon jetzt mit dem Gedanken, künftig als Model zu arbeiten.