Stellen Sie sich eine Kuhweide vor. Was geht Ihnen durch den Kopf? Das Bimmeln der Glocken ist wohl einer der meistgenannten Sinneseindrücke.
«Bammel» wegen Gebimmel?
Dass dieses Gebimmel schädlich sein könnte, hat sich wohl noch nie jemand überlegt. Jedenfalls gab es bislang keine wissenschaftliche Untersuchung dazu, sagt Edna Hillmann. Sie ist Leiterin der Gruppe Tierverhalten an der ETH Zürich.
Also startete eine ihrer Doktorandinnen eine Forschung. Ihr Fazit: Der Lärmpegel der Kuhglocken ist enorm hoch. Würden Menschen ähnlichem Lärm ausgesetzt, würde die Suva wohl Sturm laufen. Und die Untersuchung ergab: Die Kühe, welche in ihrer Untersuchung Glocken tragen mussten, haben weniger gefressen und sich weniger oft hingelegt.
Kuhglocken-Freunde machen auf Facebook mobil
Der Beitrag der Tagesschau zu dem Thema hat auf Facebook eine wahre Kommentar-Flut ausgelöst. Ein Grossteil der User greift die Forscher an – nicht alles ist zitierfähig.
Die Stossrichtung: «Woher wollen die wissen, wie eine Kuh sich fühlt?», fragt Patrick Rohrer . Und: «Die Studierten müssen uns Bauern nicht reinreden», findet Michael Gassner . Es werden auch methoden-kritische Fragen gestellt. Zum Beispiel von Samuel Gstöhl : «Logisch ist die Kuh nervös, wenn sie zum ersten Mal eine Glocke trägt.»
Bauernverband zweifelt an Studie
Studienleiterin Edna Hillmann von der ETH Zürich gibt zu, dass «die Studie zu wenig abschliessend ist, dass man sagen könnte, die Glocken schade den Kühen.» Aber nach drei mal 24 Stunden Glockentragen hätte sie doch erwartet, «dass es einen gewissen Gewöhnungseffekt gibt».
Der Schweizerische Bauernverband (SBV) kann der Studie nicht viel Gutes abgewinnen. «Wir zweifeln etwas an den Resultaten der Studie» schreibt der SBV auf Anfrage von SRF News Online. «Seit Jahrhunderten arbeiten die Schweizer Bauern mit Glocken, und wenn die Kühe darunter leiden würden und z.B. in der Folge weniger fressen, hätte das schon längst einer bemerkt und entsprechend gehandelt.»
Angriff auf ein Schweizer Kulturgut?
Offenbar geht es aber in der Debatte um weit mehr: «Das ist Tradition und gehört zu 100 Prozent zur Schweiz», schreibt Michael Holdener . Und Walter Signer verweist auf ästhetische Werte der Kuhglocke (frei übersetzt aus dem Appenzeller-Dialekt): «Das schaut doch jeweils so schön aus und tönt so schön. Geht mal einen Sommer lang auf die Alp, dann lernt ihr das noch.»
Das meint auch der Bauernverband: «Kühe und Glocken, das gehört in der Schweiz zusammen. Es ist also, als würde man ein Stück Identität infrage stellen.» Zudem ist man beim SBV der Meinung, «dass es dringendere Probleme gibt, denen sich die ETH-Forscher annehmen könnten».
So oder so ist anzunehmen, dass uns der «Soundtrack der Alpen», wie Alain Suter von Schweiz Tourismus zu «Blick» sagt, erhalten bleibt. Sollte die Diskussion dennoch eines Tages auf Behördenebene aufgegriffen werden, gibt es erstmals eine wissenschaftliche Studie. Die Dissertation wird im November abgeschlossen sein.