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Lob und Anerkennung für Simone Biles
Aus 10 vor 10 vom 28.07.2021.
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Rückzug von Starturnerin Ariella Kaeslin: «Ich finde Biles' Schritt sehr mutig»

Kunstturnstar Simone Biles bricht an den Olympischen Spielen in Tokio vorzeitig den Wettkampf ab – aus mentalen Gründen. Die ehemalige Schweizer Spitzenturnerin Ariella Kaeslin lobt Simone Biles für ihre Offenheit.

Ariella Kaeslin war als zwanzigfache Schweizer Meisterin eine der erfolgreichsten Kunstturnerinnen hierzulande. Ihr Rücktritt 2011 machte Schlagzeilen. Der Spitzensport hatte ihr viel, zu viel abverlangt. Vollends auf Distanz ging sie 2015 mit einem Buch über Missstände am Leistungszentrum des Schweizerischen Turnverbands in Magglingen.

Im Interview mit SRF zeigt Kaeslin, die ein Psychologiestudium und eine Ausbildung zur Physiotherapeutin abgeschlossen hat, Verständnis für den Entscheid von Simone Biles. «Im ersten Moment war ich erstaunt, weil ich es, wie viele, nicht erwartet hatte. So leid es mir für sie tut, aber so wichtig ist ihr Schritt, zu sagen, sie sei mental erschöpft.» Es sei mutig, ausgerechnet an Olympischen Spielen, im Fokus der Weltöffentlichkeit, Schwäche zu zeigen.

Der Druck sei umso grösser, als Athletinnen und Teams jahrelang auf einen Höhepunkt hinarbeiteten. Entsprechend hoch seien die Erwartungen von Land, Verband, Fans, Sponsoren und Freunden.

Druck wie in einer Chefetage

Ariella Kaeslin hat in ihrer Karriere Höhen und Tiefen erlebt. Ihre Erinnerungen sind ambivalent. Einerseits genoss sie die Aufmerksamkeit von Trainern, Team und persönlichem Umfeld. Aber der Umstand, dass sich die Welt um sie drehte, war mit Stress verbunden. Die Erwartungen von allen Seiten hätten einen «unmenschlichen Druck» erzeugt. Damit könne niemand umgehen, wenn er oder sie nicht optimale Bewältigungsstrategien habe. Diese Situation habe ihr viel Energie entzogen.

Ariella Kaeslin bei einem Wettkampf.
Legende: Eine der erfolgreichsten Schweizer Kunstturnerinnen: Ariella Kaeslin. Keystone

Kunstturnen ist berühmt-berüchtigt für den Drill bereits im zarten Kindesalter. Wer als Jugendliche aufs Podest will, fängt oft schon mit drei, vier Jahren an, zu trainieren. Ariella Kaeslin verweist auf Licht und Schatten, vor allem entwicklungspsychologische Defizite.  Gewisse Lebensphasen habe man wegen des Trainings nicht durchgemacht. Wer jung im Rampenlicht stehe, ohne eine gefestigte Persönlichkeit zu sein, riskiere sich zu verlieren. Ausgerechnet in der Pubertät sollte jemand im Kunstturnen auf dem Zenit sein. Das mache die Lage nicht einfacher. «Der Druck lässt sich vergleichen mit CEOs in Firmen. Bloss handelt es sich da um gestandene Frauen und Männer.»

Anzeichen für eine «gesündere Entwicklung»

Aufgrund ihres Charakters habe sie es allen recht machen wollen, sagt sie mit einem Lächeln. Bloss nichts falsch machen, lautete damals ihr Motto. Es war in der Pubertät schwierig, «dass ich nicht ausbrechen konnte aus meinem Leben als Athletin und keine Möglichkeit hatte, verschiedenes auszuprobieren. Das ist für die psychische Gesundheit nicht einfach». Die Ansprüche und das Gefühl, ihnen doch nicht gerecht werden zu können, hätten zu einer Erschöpfungsdepression geführt. Mit der Konsequenz, dass Ariella Kaeslin dem Kunstturnen vor zehn Jahren definitiv den Rücken kehrte.   

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Kaeslin: «Ein normaler Mensch kann nicht mit diesem Druck umgehen»
Aus 10 vor 10 vom 28.07.2021.
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Nicht nur Simone Biles hat rebelliert gegen das Klischee, eine Sportlerin müsse stark sein. Eine ganze Reihe anderer Persönlichkeiten aus dem Sport hat sich zu ihren mentalen Problemen bekannt. So der amerikanische Schwimmstar Michael Phelps, der seine Depressionen publik machte. Oder der niederländische Radprofi Tom Dumoulin, der eine Auszeit verlangte. Und schliesslich die japanische Tennisspielerin Naomi Osaka – sie brach das French Open ab, weil ihr die Kraft fehlte.

Ariella Kaeslin sieht in dieser Verweigerungshaltung eine positive Entwicklung «hin zu einem gesünderen Sport, wenn Athletinnen und Athleten sich getrauen, Schwäche zu zeigen». Sie plädiert dafür, nicht nur physische Verletzungen ernst zu nehmen. Funktionäre und Fans müssten endlich erkennen, «dass auch die psychische Gesundheit essenziell ist für unsere Leistungen und Lebensqualität». Vom Publikum erhofft sich der einstige Superstar im Schweizer Kunstturnen eine gehörige Portion «Verständnis und Mitgefühl».

10 vor 10, 28.7.21, 21:50 Uhr

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