Land unter in Fernost: Im Spätsommer des letzten Jahres wurde Japan von historischen Unwettern heimgesucht . Mehrere Taifune fegten innerhalb weniger Wochen über das Land. Zehntausende Menschen mussten evakuiert werden, sintflutartige Regenfälle verursachten massive Überschwemmungen.
Die Spätfolgen: Massive Schäden an der Infrastruktur – und knurrende Mägen. Denn auch die nördliche Hauptinsel Hokkaido wurde in Mitleidenschaft gezogen, und damit ausgerechnet das Herzland der japanischen Landwirtschaft: Vier von fünf Kartoffeln stammen aus der Region.
Die Wassermassen wirkten sich empfindlich auf die Produktion aus: Die Kartoffelernte ist so schlecht ausgefallen wie seit 35 Jahren nicht mehr. Martin Fritz, Journalist in Tokio, beziffert das Ausmass der Kartoffelknappheit im Land: «Die Ernte fiel um etwa eine halbe Million Tonnen niedriger aus als im Vorjahr.»
Japaner bevorzugen eigene Ware.
Die Folgen schlagen zu den Konsumenten durch: Die Preise für das Nachtschattengewächs sind um 20 Prozent gestiegen. «Damit könnten die Japaner ja noch leben», sagt Fritz. Aber nicht mit leeren Chipsregalen.
Die steile Karriere der Kartoffel
Denn Japaner snacken nicht nur Reiscracker, wie «Langnasen» vermuten: Chips in allen Variationen erfreuen sich grösster Beliebtheit. Am begehrtesten sind solche mit Pizza- oder Fleischbrühen-Geschmack, weiss Fritz: «Und nun haben die beiden grössten Hersteller angekündigt, ab nächster Woche ganze 50 Produkte einzustellen.» Ein Schlag in die Magengrube.
Die Nachricht über die herannahende Kartoffelnot hat sich rasant über Twitter verbreitet: «Die beliebtesten Chipssorten sind in vielen Supermärkten bereits ausverkauft», sagt Fritz. Und auch Fast-Food-Buden hamstern Vorräte: Denn ein beträchtlicher Teil des jährlichen Pro-Kopf-Verbrauchs von 15 Kilogramm (dreimal weniger als in der Schweiz) wird in Form von Pommes Frites verspiesen. Daneben sind auch Kroketten oder Kartoffelsalat beliebt.
Im Angesicht der Krise wandte sich die Industrie an die Amerikaner. Das Problem: Auch US-Hilfslieferungen konnten die Ausfälle nicht decken. Und, ungleich schwerwiegender: US-Kartoffeln schmecken nicht so gut wie die eigenen, finden die Japaner. «Bei Produkten, die frisch gegessen werden, aber auch bei Chips bevorzugen sie eigene Ware. Auch darum wirken sich schlechte Ernten sofort auf die Versorgung aus», erklärt Fritz.
Erinnerungen an die «Butterkrise» von 2015 werden wach. Die Frage stellt sich: Gefährdet der Protektionismus die Versorgung Japans? Fritz gibt Entwarnung: «Das Problem gibt es eigentlich nur bei bestimmten Produkten wie Milch, Rind- und Schweinefleisch.» Diese sind, zum Schutz der eigenen Produktion, mit hohen Importzöllen belegt.
Ansonsten hat sich das jahrhundertelang abgeschottete Inselreich auch kulinarisch geöffnet: 60 Prozent der Nahrungsmittel werden mittlerweile importiert, und die Kartoffel hat sich seit ihrer Einführung im späten 19. Jahrhundert fest im Speiseplan der Japaner etabliert.