Der Heilige Georg, Drachentöter mit Lanze auf dem Pferd, hat Genua über Jahrhunderte in der Expansion als Seerepublik beschützt. Aus Dank und Verehrung haben die Genueser dem Schutzpatron sogar in Neapel und Palermo Kirchen gebaut. Jetzt wird auch die neue Brücke von Genua nach dem Kirchenheiligen benannt.
Göttlichen Schutz kann das über ein Kilometer lange Bauwerk brauchen, das an gleicher Stelle der Unglücksbrücke «Ponte Morandi» in weniger als einem Jahr erbaut wurde.
Ungewöhnlicher Kraftakt
Es war eine konzertierte Aktion von Politik und Industrie, die nach dem Trauma vom 14. August 2018, das 43 Menschen das Leben kostete, in einem für Italien ungewöhnlichen Kraftakt die neue Brücke möglich machte.
Renzo Piano, Stararchitekt und selbst Genueser, projektierte die Brücke, Piero Salini, Chef des grössten Bauunternehmens Italiens, steuerte das Knowhow bei. Beide trafen wenige Tage vor Eröffnung das erste Mal auf der Brücke zusammen, SRF News war dabei.
«Bauwerke müssen geliebt werden. Diese Brücke hat ein schweres Erbe. Wird sie nicht geliebt, wird sie auch nicht gepflegt. Eine Brücke aber muss halten und hat kein Recht, einzustürzen», sagt Renzo Piano.
Der Architekt weiss: Es gibt wenig zu feiern, trotz der Bravour von über 1000 Arbeiterinnen und Arbeitern, die im Rekordtempo die 19 Brückenteile auf 18 Pfeiler hochgezogen haben. Zu gross ist der Schmerz, zu gross die Entrüstung über die Versäumnisse, die zum Einsturz geführt haben.
Diese Brücke hat ein schweres Erbe.
Politik lenkte von eigenen Unzulänglichkeiten ab
Pietro Salini, Chef eines ganzen Baukonsortiums für den Neubau, geht mit der eigenen Zunft hart ins Gericht: «Eine Brücke, die einstürzt, Menschen begräbt – da ist grundsätzlich etwas falsch gelaufen. Wie konnten wir die Wartung aus den Augen verlieren, einem kollektiven Irrtum aufsitzen?»
Gemeint ist die Betreibergesellschaft «Autostrade per l’Italia», die mehrheitlich der Familie Benetton gehört. An den Benettons hat sich in Italien die ganze Wut entladen. Und die Politik hat so versucht, von eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Denn mit der Privatisierung der italienischen Autobahnen haben die Behörden auch die Wartung und Kontrolle von Brücken einfach weiter delegiert, gleichzeitig als öffentliches Kontrollorgan aber versagt.
Wie konnten wir die Wartung aus den Augen verlieren, so einem kollektiven Irrtum aufsitzen?
Mühlen der Justiz mahlen langsam
Haben die Italiener die Lektion gelernt? Giovanna Donato hegt tiefe Zweifel. Die Sprecherin des Opferverbandes «Morandi-Brücke» hat ihren Ehemann verloren. Als Hafenarbeiter war er am Vormittag des 14. August 2018 auf dem Weg zur Arbeit. Er hinterlässt der Witwe einen heute zwölfjährigen Sohn.
«Diese Brücke ist nicht etwa ein Symbol der Wiedergeburt. Sie müsste ‹Brücke der Schande› heissen. Sie wurde auf Trümmern gebaut, die skrupellose und fahrlässige Menschen zu verantworten haben, die das Leben von 43 Menschen auf dem Gewissen haben».
Die Angehörigen setzen für Gerechtigkeit auf die Justiz. Doch der eigentliche Prozess beginnt nach einer langwierigen Beweisaufnahme frühestens Ende Jahr – mehr als zwei Jahre nach dem Einsturz. Giovanna Donato und die übrigen Angehörigen befürchten, dass die langsamen Mühlen der italienischen Justiz den Verantwortlichen des Einsturzes der Morandi-Brücke in die Hände spielen.
Diese Brücke ist nicht etwa ein Symbol der Wiedergeburt. Sie müsste ‹Brücke der Schande› heisse
Die Wahrheitsfindung und juristische Aufarbeitung des Einsturzes der Morandi-Brücke wird ein Vielfaches länger dauern als der Wiederaufbau der neuen San-Giorgio-Brücke – das weiss man jetzt schon in Genua.