Die «SS Karlsruhe» ist weder das erste noch das grösste Wrack, das Tomasz Stachura auf dem Grund der Ostsee aufgespürt hat. Aber es könnte sein spektakulärster Fund werden.
Es spricht nämlich einiges dafür, dass die Nazis im April 1945, das Bernsteinzimmer mit diesem Schiff aus Königsberg abtransportiert hatten, jenen Prunkraum, den sie vier Jahre zuvor in der Sommerresidenz der russischen Zaren bei St. Petersburg erbeutet hatten.
Tomasz Stachura berichtet vom Tauchgang zur «SS Karlsruhe»
«Wir haben keinen Beweis», sagt Schatzsucher Stachura. «Aber wenn die Nazis das Bernsteinzimmer vor der anrückenden russischen Armee in Sicherheit bringen wollten, dann war die «Karlsruhe» ihre letzte Chance.»
Gesichert ist, dass die Nazis das Bernsteinzimmer Anfang 1945 in Königsberg zerlegt und in Kisten verpackt hatten. Kurz darauf, im April, war die ostpreussische Grossstadt dann von der Roten Armee umzingelt.
Die Deutschen evakuierten im Rahmen der «Operation Hannibal» mit Schiffen über eine Million Soldaten und Zivilisten aus den deutschen Ostgebieten. Die «Karlsruhe» war Teil dieser Operation und sie war das letzte deutsche Schiff, das den Hafen von Königsberg verliess, bevor die Russen die Stadt einnahmen.
Was den flüchtenden Deutschen zunächst wie ein grosses Glück vorgekommen sein dürfte, war der Beginn einer Katastrophe. Nach zwei Tagen auf See versenkten russische Bomber das Schiff. An Bord waren mehr als 1000 Menschen, die meisten davon Zivilisten, dazu 360 Tonnen Fracht – und vielleicht auch das Bernsteinzimmer.
Der Wracktaucher Tomasz Stachura findet das so plausibel, dass er und sein Team sich auf die Suche machten. Der erste Tauchgang führt in die Tiefen eines russischen Archivs.
Eine Nadel in einem Heuhaufen namens Ostsee
«Dort haben wir in Dokumenten fünf Positionen gefunden, an denen das Wrack der ‹Karlsruhe› liegen könnte. Sie lagen 20 Seemeilen auseinander. Es war die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen.»
Doch Stachura kennt diesen Heuhaufen namens Ostsee; er kennt den Meeresgrund wie kaum ein anderer. Und so fand er das Wrack fast auf Anhieb.
In dem Moment dachte ich: Mein Gott, wir haben das Wrack gefunden.
Als er das erste Mal die 90 Meter zum Schiff hinuntertauchte erschien im Strahl seiner Taucherlampe ein Lastwagen, der genau so aussah, wie ihn einer der wenigen Überlebenden des Bombenangriffs auf die «Karlsruhe» beschrieben hatte. «In dem Moment dachte ich: Mein Gott, wir haben das Wrack gefunden», erinnert sich der 56-Jährige.
Messungen und eine zweite Tauchexpedition bestätigen die Hoffnung: Das Wrack ist die «SS Karlsruhe». Und – aufregender noch – im Wrack liegen grosse Holzkisten. Sie könnten das zerlegte Bernsteinzimmer enthalten.
Kisteninhalt weist auf möglichen Fund hin
Auf seinem Laptop zeigt Stachura einen Film, der zeigt, wie ein Tauchroboter versucht, eine der Kisten zu öffnen: «Das war ein wirklich aufregender Moment.»
Der Roboter schneidet die Kiste auf, hebt den Deckel einen Spalt. Zu erkennen ist wenig – aber in der Kiste ist etwas, das wie verschlammte Bretter aussieht. «Das könnten Gemälde sein, ja?», sagt Stachura. Er meint: ein Gemälde aus dem Bernsteinzimmer.
Bergen wird er die Kisten nicht. Das ist Sache der polnischen Behörden. Doch um Gewissheit zu bekommen, ob in den Holzkisten tatsächlich das sagenumwobene Bernsteinzimmer liegt, wird Stachura in diesen Tagen erneut die 90 Meter zur «Karlsruhe» hinuntertauchen.
Fund wäre ein diplomatisches Problem
In Polen, wo Schätze suchen schon fast ein nationales Hobby ist, werden viele mitfiebern und hoffen, dass der Taucher das Bernsteinzimmer findet.
Auch die polnischen Politiker werden mitfiebern – und hoffen, dass er nichts findet, glaubt Schatzsucher Stachura. «Wenn wir das Zimmer finden, ist es für sie ein grosses Problem. Schliesslich geht es um ein deutsches Wrack mit russischer Fracht in polnischen Gewässern. Das ist diplomatisch sehr kompliziert. Dazu kommt: Das Wrack zu bergen wäre extrem teuer.»
Viel Geld hat bislang vor allem der Wracktaucher selbst investiert. Jeder Expeditionstag kostet ihn mehr als zehntausend Franken. Das Geld dazu hat er mit der Herstellung von Tauchanzügen und mit Dokumentationen über frühere Expeditionen verdient.
Was hiesse es für ihn, wenn in den geheimnisvollen Holzkisten nicht das zerlegte Bernsteinzimmer läge? Stachura zuckt mit den breiten Schultern. Für ihn sei diese Schatzsuche wie Lotto spielen – mit dem Unterschied, dass er sowieso gewinne. «Wenn wir das Bernsteinzimmer finden, kann ich mein Filmmaterial gut verkaufen. Wenn nicht, haben wir einfach ein Abenteuer erlebt.»