Der 3. März ist der Tag der seltenen Krankheiten – Krankheiten, die so rar sind, dass selbst Spezialisten sie in ihrer Laufbahn nur wenige Male zu Gesicht bekommen.
Für die Patienten und deren Familien können solche Krankheiten sehr belastend sein – einerseits, weil sie in der Regel chronisch, oft auch lebensbedrohlich sind. Aber auch, weil es auf der Welt häufig nur noch eine Handvoll anderer Menschen mit der gleichen Erkrankung gibt. Matthias Baumgartner, Leiter der Abteilung Stoffwechselkrankheiten am Kinderspital Zürich, erklärt, wie die Medizin mit dem Problem umgeht – und welche Hoffnung es für Patienten gibt.
SRF: Es gibt 7000 seltene Krankheiten, andere Schätzungen sprechen von bis zu 8000. Kann man da sagen: Ein Hausarzt kennt die meisten der seltenen Krankheiten sicher nicht, Sie aber schon?
Matthias Baumgartner: Nein, das ist so nicht richtig. Ich kenne gewisse seltene Krankheiten, aber ganz viele nicht – kein Mensch auf dieser Erde kann alle seltenen Krankheiten kennen, weil die eben alle selten sind. Sie treten per definitionem bei höchstens einer von 2000 Personen auf.
Doch die meisten der Krankheiten sind wesentlich seltener – sie treten eher bei einer von 100‘000 oder gar einer pro 1‘000‘000 Personen auf. Das heisst, in der ganzen Schweiz haben wir manchmal nur einen einzigen Patienten. Wenn man den als Arzt nicht gesehen hat, dann kennt man die Krankheit auch nicht.
Man hat den Eindruck, es gibt es immer mehr seltene Krankheiten.
Es gibt nicht immer mehr. Wir kennen nur für immer mehr von ihnen die molekularen Grundlagen – also die Besonderheiten auf genetischer Ebene. So kann man heute dank der neuen Technologien sehr viel mehr solcher Krankheiten genau definieren.
Man kann sie heute also besser diagnostizieren?
Ja. Das heisst aber nicht, dass man die Krankheit dann auch besser versteht.
Wie gehen Sie bei der Suche nach der richtigen Diagnose vor?
Weil sich bei über der Hälfte der Fälle die Symptome bereits im Kindesalter zeigen, ist es zuerst einmal gut, den Eltern genau zuzuhören, wann es angefangen hat, wie die genauen Umstände und Symptome sind.
Wir versuchen, die Untersuchungsergebnisse zusammenzubringen – und kommen dabei oft nicht weiter.
Dann folgen einfachere, körperliche Untersuchungen. Danach gibt es Blut- und Urinuntersuchungen und Röntgenbilder. Die Ergebnisse versuchen wir dann zusammenzubringen. Man kommt dabei aber oft nicht weiter.
Bis zur Diagnose ist also einiges an Detektivarbeit nötig.
Definitiv. Wir haben zwar jetzt gewisse Screening-Tests, mit denen man beispielsweise verschiedene Stoffwechselstörungen aufdecken kann. Aber vielfach hilft das nicht weiter. Dann muss man sich einerseits im Internet auf speziellen Seiten auf die Suche machen, aber auch Dr. Google weiss oft schon sehr viel. Andererseits gibt es dann auch moderne Technologien, mit denen man das ganze Genom sequenzieren kann.
Die Patienten sind also über weite Strecken erst einmal Versuchskaninchen.
Ich glaube, Patienten sind immer ein bisschen Versuchskaninchen. Und wenn sie an einer seltenen Krankheit leiden, noch viel mehr, weil die Erfahrungen fehlen, da es nur so wenige Fälle gibt.
Da hilft es sicher weiter, dass die Welt heute wesentlich besser vernetzt ist?
Das ist das A und O. Wir müssen bei seltenen Krankheiten international zusammenarbeiten und Netzwerke und Register schaffen, wo wir die Patienten über lange Zeit verfolgen und den Verlauf beobachten können. Nur so lernen wir, diese Krankheiten zu verstehen.
Oft wissen Patienten und Eltern wahrscheinlich besser Bescheid als so mancher Arzt.
Ja, und das sage ich auch immer meinen Assistenten: Hört gut auf die Eltern und die Patienten, das sind die wahren Spezialisten ihrer Krankheit. Bei einer Neu-Diagnose gebe ich den Eltern oft mit: Glauben Sie nicht, dass Ihr Kinderarzt viel weiss über die Krankheit. Sie werden sehr bald sehr viel mehr wissen.
Gibt es für Menschen mit seltenen Krankheiten überhaupt einen Hoffnungsschimmer, was die Forschung anbelangt?
Es gibt Erleichterungen bei der europäischen und amerikanischen Arzneimittelbehörde für die Marktzulassung von Medikamenten für seltene Krankheiten. Seit es das gibt, sind schon verschiedene Therapien von grossen Pharmafirmen, aber auch Start-ups auf den Markt gekommen. Aber es gibt noch immer nur für einen ganz kleinen Teil dieser über 7000 seltenen Krankheiten ein Medikament.
Das Gespräch führte Dani Fohrler, bearbeitet von Helwi Braunmiller.