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Sensation Höhlenrettung Mitfiebern für ein «Happy End»

17 Tage bangte die Welt um die in einer Höhle in Thailand eingeschlossenen Jugendlichen. Das Medieninteresse war gewaltig. So gewaltig, dass in den sozialen Medien viele kritisierten, es sei falsch, dass diese 12 Jugendlichen mehr Aufmerksamkeit bekämen als die Hunderten von Flüchtlingen, die im Mittelmeer ertrinken. Michael Haller erklärt das Phänomen.

Michael Haller

Medienwissenschaftler

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Michael Haller ist Medienwissenschaftler und Direktor eines Forschungsinstituts für Journalistik in Leipzig.

SRF News: Stimmt der Eindruck, dass die eingeschlossenen Jugendlichen in Thailand mehr Aufmerksamkeit bekommen als die Menschen, die über das Mittelmeer flüchten?

Michael Haller: Es ist eine Frage, die in die Irre führt, denn es sind zwei ganz unterschiedliche Themenfelder. Bei der Flüchtlingsthematik handelt es sich um einen Ereigniszusammenhang, der uns schon seit vielen Jahren beschäftigt. Das Problem ist nicht zu lösen, indem man tagtäglich über die Dramen, die sich im Mittelmeer ereignen, berichten würde. Das sind von Menschen verursachte Probleme.

Es sind archetypische Geschichten, wie wir sie uns von der Antike bis heute immer wieder erzählen wollen.

Ganz anders ist es in Thailand: Dadurch, dass es so weit weg ist, betrifft es die Menschen hier nicht unmittelbar. Es sind Dramen, die sich so erzählen lassen: Können wir Menschen gegen die höheren Mächte und die Naturgewalten am Ende doch obsiegen? Gibt es ein Happy End oder wird es eine Tragödie werden? Es sind sozusagen archetypische Geschichten, wie wir sie uns von der Antike bis heute immer wieder erzählen wollen.

Es ist also gerade auch die Überschaubarkeit im thailändischen Drama, die diese Geschichte besonders geeignet macht für Medien?

Richtig, es sind alle Accessoires dabei: Es ist eine überschaubare Anzahl an Protagonisten, wir haben einen Zeitrahmen, der überblickbar bleibt – man weiss, dass es innerhalb einer bestimmten Frist zur Rettung kommen muss.

Das ähnelt der Berichterstattung über die Fussballweltmeisterschaft – nur, dass es hier um Leben und Tod geht.

Das ähnelt viel mehr einer solchen Dramaturgie, wie wir sie von den Berichterstattungen über die Fussballweltmeisterschaft kennen – nur, dass es hier um Leben und Tod geht und es darum noch eine ganz andere Dynamik und Bedeutung hat.

In der Flüchtlingskrise geht es aber auch um Leben und Tod.

Sicher. Viele Menschen sind hin- und hergerissen. Einerseits sehen sie die Hilfsbedürftigkeit dieser Menschen, andererseits sehen sie aber auch, dass es von Menschen gemachte Probleme sind. Man kann also seine Empörung adressieren und sich vorstellen, dass es bei einer anderen Politik zu anderen Lösungen kommen würde.

Journalisten warten am Hafen auf die Ankunft des Rettungsschiffts "SOS Mediterranee" Aquarius
Legende: «Mal ist das Flüchtlingsthema heftiger, mal wird es als überschaubar behandelt». Journalisten warten auf die Ankunft des Hilfsschiffs «Aquarius» am Hafen von Valencia, 17. Juni 2018. Keystone

In dieser Ambivalenz steckt auch noch das Gefühl: Irgendwo, irgendwie sind diese Menschen ja auch ein bisschen selber schuld, weil sie sich in diese Risiken begeben haben. Kommt hinzu, dass viele Menschen angesichts der enormen Zahlen an Migranten sich in ihrer kulturellen Identität verunsichert fühlen. Und so wabert dieses Thema seit mehreren Jahren. Mal ist es heftiger, mal wird es als überschaubar behandelt.

Immer wieder heisst es, die Medien würden zunehmend sensationslüsterner. Stimmt dieser Vorwurf?

Wir sehen schon einen Trend, der durch Onlinemedien stark beschleunigt worden ist. Der Medienwettbewerb um Reichweite hat sich enorm verschärft. Die meisten Online-Anbieter sind nach wie vor unentgeltlich, also müssen sie sich über Werbung refinanzieren.

Das führt dazu, dass man möglichst schnell mit möglichst spektakulären Bildern und Videos präsent ist. Es sind heute neben dem Sensationalistischen auch stark voyeuristische Elemente drin. Und so eignen sich solche Begebenheiten wie das Höhlendrama in Thailand hervorragend, um hier enorm zuzuspitzen und zu pushen.

Das Gespräch führte Roman Fillinger.

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