Der Schweizer Nachrichtendienst schickte während des Krieges Spione nach Nazideutschland. Ernst Mörgeli war einer von ihnen. Erst im hohen Alter sprach der Winterthurer ausführlich über seine gefährliche Mission. Teile eines 2001 vom Historiker Peter Kamber geführten Interviews hat «10vor10» nun erstmals ausgestrahlt.
In Stuttgart stationiert
Offiziell arbeitete Mörgeli ab 1940 im Schweizer Konsulat in Stuttgart und betreute die Ausstellung von Visa. Aber er hatte den geheimen Auftrag, Truppenbewegungen in Süddeutschland und die Stimmung in der Bevölkerung zu beobachten. «Ich stand daneben, wenn sich die Leute am Hauptbahnhof Stuttgart unterhielten», erzählt Mörgeli im Interview. «So kriegte ich viele Nachrichten mit und konnte meine Schlüsse daraus ziehen.»
Ernst Mörgeli erstattete persönlich in der Schweiz Bericht. Je nach Dringlichkeit gelangte er mit dem Zug noch am selben Tag in die Schweiz. Sämtliche seiner Beobachtungen speicherte er im Kopf, Notizen wären zu verdächtig gewesen. Im nationalsozialistischen Deutschland und an der Grenze drohten rigorose Kontrollen: «Mir war klar, dass man nichts auf sich haben darf, was einen als Spion belasten könnte.»
Schweizer Wehrmachts-Soldaten im Visier
Spion Mörgeli observierte in Stuttgart auch junge Schweizer, die bei der deutschen Wehrmacht mitmachen wollten. Diese überschritten die Grenze heimlich, oder eben «schwarz», weshalb man von «Schwarzgängern» sprach. Sie wurden in Waldshut abgeholt und dann nach Stuttgart gebracht.
Ein Drahtzieher dieser Schwarzgänger wurde Mörgeli zum Verhängnis: Der Schweizer Nazi Jakob Meier denunzierte ihn bei der Gestapo. Er behauptet, Mörgeli spioniere im Auftrag Grossbritanniens. «Auf dem Weg zum Bahnhof wurde ich von zwei Gestapo-Beamten verhaftet und ins Polizeigefängnis gesteckt.»
Gestapo droht mit kurzem Prozess
Es sah sehr schlecht aus für Ernst Mörgeli. Der Winterthurer erinnert sich an die Einvernahmen durch den Gestapo-Mann. Der Chef der deutschen Spionageabwehr, Anton Rothmund, eröffnete ihm gleich zu Beginn der Verhöre: «Sie sind ja ohnehin zum Tode verurteilt.»
Nach dreimonatigem Verhör verlegte ihn die Gestapo in ein SS-Gefängnis. Doch der Schweizer Geheimagent hielt dicht über seinen Spionageauftrag. Für den obersten SS-Geheimdienst-Chef Walter Schellenberg war Mörgeli dennoch wertvoll. «Jetzt im Nachhinein weiss ich, dass Schellenberg besondere Absichten mit meiner Verhaftung verfolgt hat. Er wollte quasi ein Pfand in der Hand haben. Er schaute deshalb auch, dass ich nicht allzu stark erkrankte.»
Freilassung an Heiligabend
Nach neun Monaten Haft, an Heiligabend 1942, kommt Ernst Mörgeli frei. Auch Jahrzehnte später erinnert er sich gut an die letzten Stunden vor dem Abflug aus Nazideutschland. «In Stuttgart-Echterdingen wurde ich in ein Flugzeug geführt und gebeten, ich solle schweigen.» Tatsächlich schwieg Mörgeli in der Folge jahrzehntelang über seine Haft in Nazideutschland.
Die Affäre um seine Tätigkeit und Verhaftung zog derweil Kreise bis ganz nach oben. Drei Monate nach Mörgelis Entlassung traf General Guisan den deutschen Geheimdienstchef Walter Schellenberg zweimal zu Gesprächen in der Schweiz.
Gestapo-Mann bittet um Entschuldigung
Anton Rothmund, der Gestapo-Mann, der Mörgeli in den Verhören offen mit dem Tod gedroht hatte, reiste nach dem Krieg in die Schweiz. Offenbar wollte er Mörgeli um Entschuldigung bitten. Rothmund wusste, dass die Eltern von Mörgelis Verlobter in Arosa wohnten. «Meine Schwiegermutter gab ihm meine aber Adresse nicht. Danach hörte ich nie wieder etwas von ihm», erzählt Ernst Mörgeli im Interview aus dem Jahr 2001.